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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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Ratten.‹ — Beseitigung von Membranrissen in der
Urethra.‹ — ›Cytologische Diagnose der Cervix im Vorstadium der Krebsbildung.‹
— ›Inter-innominal-abdominale Amputation der unteren Extremitäten bei
bösartigen Gewächsen mit Indikation für die Fortsetzung ihres Gebrauchst Es gab
Hunderte solcher Leckerbissen. Ich bestand darauf, mir einen Film mit Clark
Gable anzuschauen, aber Maggie behauptete, wir würden nie wieder Gelegenheit
haben, medizinische Filme zu sehen. Sie entschied sich für einen Streifen mit
dem Titel ›Der Verräter in unserem Inneren«, von dem es hieß, er vermittle
medizinische Erkenntnisse der Krebsforschung in allgemeinverständlicher Weise.
Ich weigerte mich, mir etwas anzuschauen, das auch nur im entferntesten mit
Krebs zu tun hätte.
    Wir einigten uns auf den Titel
›Schockbehandlung«, aus dem einfachen Grunde, weil mich jetzt nichts mehr würde
schockieren können.
    Der Film begann mit Kretschmers
Theorie, ›daß alle Formen von Geisteskrankheit unter zwei Kategorien fallen:
Folie circulaire und Schizophrenie. Erstere ist durch den Wechsel von
Depressionen und Aufregungszuständen oder sogenannten manischen Zuständen
charakterisiert, letztere durch alle möglichen Sinnestäuschungen bis hinunter
zu chronischer Verblödung. Beide Arten des Sinnesverwirrung sind jedoch nichts
anderes als gewöhnliche, ins Extrem gesteigerte Charakterzüge, Übertreibungen
infolge mangelnder Selbstkontrolle.«
    Man sah die Patientin, eine gewisse
Mrs. B., zusammen mit einer Pflegerin in ihrem Zimmer in einem modernen
Irrenhaus sitzen. Sie machte einen geistesabwesenden und verzweifelten Eindruck
und schien sich nicht im geringsten für ihre Umgebung zu interessieren. Es
hieß, sie befinde sich in einem Zustand akuter Depression. Eine Krampftherapie,
möglichst mit Elektroschock kombiniert und durch Curare modifiziert, hätte sich
in solchen Fällen als einfach und verhältnismäßig ungefährlich, außerdem als so
wirksam erwiesen, daß diese betreffende Klinik sie in Tausenden von Fällen
angewandt habe.
    Dann wurde Mrs. B. im Behandlungszimmer
gezeigt, auf einen Untersuchungstisch geschnallt, mit einem Knebel im Mund. Es
wurde ihr ein rundes Käppchen aufgesetzt, und dann erhielt sie eine elektrische
Ladung verabreicht, die für die Hinrichtung eines mittleren Gangsterhäuptlings
gereicht hätte. Sie bekam Krämpfe und versank schließlich in einen tiefen
Schlaf. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, daß sich die Patienten, bevor man
Curare anzuwenden begann, bei ihren Krämpfen gelegentlich die langen
Beinknochen gebrochen hätten, aber seit man Curare verwende, seien solche
Begleiterscheinungen nicht mehr beobachtet worden.
    »Ich habe Curare immer für ein
tödliches Gift gehalten!« flüsterte ich. »Benützen es nicht gewisse wilde
Stämme, um die Pfeilspitzen damit zu vergiften?«
    »Es ist ein wunderbares
Entspannungsmittel«, erwiderte Maggie.
    Dann wurde betont, wie wichtig für den
Patienten während der aufeinanderfolgenden Schockbehandlungen die
Beschäftigungstherapie sei. Mrs. B. wurde in einen großen Speisesaal geführt,
in dem verschiedene Patienten aßen. Krankenpflegerinnen in weißen Kitteln waren
an strategischen Punkten postiert, ganz wie gewöhnliche Kellnerinnen. Der
einzige Unterschied zwischen diesem und einem normalen Speisesaal war das
Bestreben gewisser Gäste, sich so zu benehmen, wie ich mich schon oft herzlich
gern in einem Restaurant benommen hätte. Eine alte Dame, die am Kopfende des
Tisches saß, kostete ihren Kaffee, verzog angeekelt das Gesicht und goß ihn
sich in die Haare. Sofort brachte ihr eine Pflegerin eine neue Tasse Kaffee.
Dann kam eine Großaufnahme der Mrs. B., wie sie teilnahmslos ein Brötchen
zerbröselte und sich die lebhaften Tiraden einer Frau anhörte, die ihr
gegenüber saß. Plötzlich wurde es ihr zuviel, und sie warf ihrem Gegenüber
einen Teller an den Kopf, einem unterbewußten Wunsche gehorchend, den ich, ach,
so oft empfunden hatte. Sie bekam einen neuen Teller und aß weiter. Mir wurde
immer klarer, daß ›involutionelle Melancholie‹ nur ein medizinischer Ausdruck
für das Benehmen eines Menschen sei, der den Mut seiner Überzeugung besitzt.
    Mrs. B. bekam mehrere Tage
hintereinander ihre Schockbehandlung, und von Tag zu Tag begann sie sich immer
mehr für ihre Umgebung zu interessieren.
    Nach mehreren Schockbehandlungen sah
man sie Bridge spielen, mit einer meiner Meinung nach völlig normalen,
mürrischen Miene.
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