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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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Operation zu Ende war, fing der Patient
lustig zu plaudern an und reichte dem Arzt seine bisher gelähmte Hand — er war
geheilt. Es war das der dramatischste Film, den ich je gesehen hatte.
    Maggie sah auf die Uhr. »Du lieber
Himmel, wir haben Pete und Jim versprochen, sie um halb fünf zu treffen, und es
ist schon beinahe fünf. Wir müssen weg!«
    Als ich ins Hotel kam, lagen Gardenien
auf der Kommode und eine Mitteilung von Jim: »Wir treffen uns im ›Top of the
Mark‹.« Mich hatte der chirurgische Film so sehr erschüttert, daß es mir fast
wie ein Sakrileg erschien, davonzurennen und Cocktails zu trinken. Aber der
Geruch der feuchten Gardenien trug dazu bei, meine ursprünglichen Vorstellungen
zu neuem Leben zu erwecken. Als ich mich hastig umzog, freute ich mich auf ein
zärtliches Tête-à-tête mit Jim im ›Top of the Mark‹ — während wir auf die
verschleierten Lichter von San Francisco blicken und ich ihn davon überzeuge,
daß es noch nicht zu spät sei, in die Gehirnchirurgie überzuwechseln...
    Als Maggie und ich in der Tür der
Cocktailbar standen, zischte sie mir ins Ohr: »Sie sitzen dort drüben in der
Ecke. Wenn sie behaupten, daß das eine Ärztin ist, haue ich ihnen eine
herunter.« Zwischen Pete und Jim saß eine hochgewachsene schwarzhaarige Frau,
in einen Pelzmantel gehüllt, und wir befürchteten, es sei der echte Zobel. Als
wir näher kamen, warf sie gerade den Kopf zurück und lachte mit tadellos weißen
Zähnen und Grübchen. Sie sah gefährlich aus und roch auch ganz gefährlich und
wurde uns als Frau Doktor Miller vorgestellt. Sofort erhellten sich Maggies
Züge mit der ehrfürchtigen Andacht eines Backfisches, der einen Filmstar
begrüßt. »Ich habe Ihre Artikel über Diabetes bei Schwangerschaft verfolgt,
aber ich hätte mir nie im Traum einfallen lassen, Sie würden so aussehen.«. Das
hatten offenbar Jim und Pete auch nicht geahnt. Ich hatte die Artikel nicht
gelesen und fühlte mich geneigt, ihr einen guten Rat zu geben: Entweder — oder!
Schwüle Circe oder ärztliche Kapazität! Ich fragte sie — nicht sehr höflich — ,
ob sie verheiratet sei. Sie bejahte, aber ihr Mann sei nicht Arzt, deshalb habe
sie ihn nicht mitgenommen. Für Nichtfachleute sei eine solche Tagung viel zu
beschwerlich — nichts als Sitzungen von früh bis spät. Ihrem Mann mache das
keinen Spaß. Ich hörte mir die animierte Fachsimpelei mit an und bedauerte, daß
sie ihren Mann nicht mitgebracht hatte.
    Jim, Pete und Frau Dr. Miller begaben
sich zu einem Bankett, verabschiedeten sich von uns hastig und lustig — wir
würden uns nachher treffen — und Maggie und ich saßen in ihrem Hotel. Ich
erwähnte gerade, der ganze Kongreß erinnere mich an einen Artikel, den ich
einmal gelesen hatte und der den Titel trug: ›Wenn du wüßtest, daß du nur noch
sechs Monate zu leben hast, was würdest du tun?‹ Maggie rümpfte die Nase und
erklärte, ich sei eine gotteslästerliche Person, und ich sollte mich nicht wie
ein Yankeeweib benehmen. Wir beendeten unsere Mahlzeit in kühlem Schweigen, und
ich kehrte in mein Hotel zurück.
    Ich stützte die Hand auf das
Fenstersims in meinem Zimmer, blickte auf das kleine Stück Bucht hinaus, das
zwischen den schmutzigen Häusern zu sehen war, und kam mir verloren vor. Ich
dachte an das vorige Mal zurück, da ich in San Francisco gewesen war — an meine
lustigen und übermütigen Freunde von der Presse — , an die Zeit, da wir um ein
Uhr nachts an den Fischerpier hinuntergegangen waren und Froschschenkel
gegessen hatten. Der Gedanke an die Froschschenkel erinnerte mich an die rosa
Modellfiguren und an die Gehirntumore. Ich zog den Arm zurück. Ich hatte ein
prickelndes Gefühl in den Muskeln. Wahrscheinlich die ersten Anzeichen der Lähmung,
mit der ein Gehirntumor beginnt, dachte ich niedergeschlagen, ging ins
Badenzimmer und öffnete den Hahn. Das Telefon klingelte. Es war Jim. Er sagte,
ich sollte mich zurechtmachen, er würde mich in zehn Minuten abholen, wir
wollten in das Chinesen viertel fahren, um chinesisch zu essen.
    »Kommt Doktor Miller mit?« fragte ich.
    »Wer? Oh — das weiß ich nicht. Ich habe
sie nicht gesehen. Wir sind ungefähr zehn Leute. Ruf Maggie an und sag ihr, daß
wir sie auch abholen. Auf Wiedersehen.«
    Jetzt fiel mir ein, daß die
Journalisten damals zuviel getrunken hatten und daß ich wegen eines kleinen
Straßenkrakeels, der übel ausging, um vier Uhr früh ganz allein in mein Hotel
hatte zurückfinden müssen.
    Wir kamen erst
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