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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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spät nach Hause, nachdem
wir im Chinesenviertel herumgewandert waren, mehrere Nachtlokale besucht und
das enervierende Vergnügen genossen hatten, zwei Frauen unter zehn Männern zu
sein.
    Am nächsten Morgen rief ich Maggie an,
weckte sie auf und sagte, sie solle sich schnell anziehen und herüberkommen, um
mit mir zu frühstücken — jetzt sei ich an der Reihe: Ich wolle ihr die
technische Ausstellung zeigen. Als sie brummig protestierte, erinnerte ich sie
daran, daß sich ›eine solche Gelegenheit nur einmal im Leben biete«, wir
dürften sie nicht versäumen.
    Auf dem Weg zum Kongreßgebäude
steigerte ich mich wieder in eine ungesunde Sehnsucht nach der guten alten Zeit
meiner Reklametätigkeit hinein. Ich konnte es kaum erwarten, Maggie die
Warenmesse zu zeigen. Nehmen wir zum Beispiel die Zigaretten — ich erinnerte
mich an die Scharen leichtbekleideter Modelle, die unter den Kunden herumliefen
und die gräßlichen, damals üblichen Reklamephrasen hinausposaunten: Erfahrung
ist der beste Lehrmeister — Man ist zufrieden — Nicht das kleinste Husterchen —
Was der kluge Raucher wählt. Man bekam Dutzende von Zigarettenpäckchen
geschenkt und dazu ein Lächeln, das einen umwarf. Heute aber, da jede
Werbekampagne mit den Worten beginnt: ›Führende ärztliche Kapazitäten im ganzen
Land sagen...‹, mochte der Himmel wissen, was die Reklameagenten für den
amerikanischen Ärztekongreß ausgekocht haben würden.
    Die Ärzte strömten in das
Kongreßgebäude wie die Ameisen. Während wir uns zum Eingang drängten, murmelte
ich: »Schau dir das an! Man sollte meinen, sie hätten die Medizin satt.«
    Maggie sagte: »Oh, ich weiß nicht — ich
finde sie reizend — sie stehen mit leuchtenden Augen vor den Präparaten wie
kleine Kinder in einem Bonbonladen.«
    Wir bahnten uns mühsam einen Weg in die
technische Abteilung. An einem Tisch gleich hinter dem Eingang saß ein schlicht
gekleideter, junger Mann. Über seinem Haupt hing ein Transparent mit der
Inschrift:
     
    Ärzte haben festgestellt, daß diese
Zigarette
    den Kehlkopf weniger reizt.
     
    Mit einer Miene, die nicht
unpersönlicher hätte sein können, wenn er eine Bankbilanz bekanntgegeben hätte,
warf er einen Blick auf unsere Abzeichen und sagte gelassen: »Hoffentlich sind
Sie mit der Tagung zufrieden, Frau Doktor!« Er überreichte jeder von uns ein
kleines Päckchen mit zwei Zigaretten.
    Maggie sagte: »Oh, das habe ich
befürchtet!« — und drückte tröstend meinen Arm.
    Zum Unterschied von den Scharen
zudringlicher Verkäufer, den roten Samttransparenten und den glitzernden, in
Cellophan verpackten, mit riesigen Seidenbändern umwickelten Warenproben meiner
damaligen Reklamemesse waren hier die einzelnen Firmenstände kleine keimfreie
Altäre zu Ehren der ärztlichen Wissenschaft.
    Das bewegliche Modell einer
Trockenmilchanlage war von einem dreifachen Kreise faszinierter Ärzte umringt.
Ein hochmütiger junger Herr erläuterte den Mechanismus. Maggie sagte: »Wenn
sich diese Milchfirma einbildet, so eine kleine Maschinerie würde auf einen
Arzt Eindruck machen, dann sollten sie ihn erst einmal zu Weihnachten mit einer
elektrischen Eisenbahn spielen sehen!« In einem geheimnisvollen Ton, als ob er
unsittliche Ansichtskarten verteilen würde, gab der junge Herr schließlich zu,
daß die Milch Vitamin D enthalte — vierhundert Standardeinheiten auf den
fertigen Liter und auch diese übereilte Feststellung schwächte er dadurch ab,
daß er hinzufügte, die Milch sei für Säuglinge, Kranke und alte Leute
bekömmlich. Während wir weitergingen, murmelte ich: »Sorgt gefälligst dafür,
daß diese Milch nur von dem Teil der Bevölkerung konsumiert wird, der sich
nicht wehren kann!«
    Die Grapefruitfirma machte einen
restlos entmutigenden Eindruck, Ich hatte Maggie eine tropische Oase
versprochen, mit Palmen, hawaiischen Gitarristen und Hula-Hula-Tänzerinnen, die
nur so lange mit ihrem Gewackel aufhören, um den Kunden eine Blumenkette aus
rosa Krepp-Papier und ein Glas mit dem Göttertrank zu überreichen. Hier aber
ließ nichts darauf schließen, daß das Produkt nicht aus einer Provinzapotheke
stamme. Aus einem Glasbehälter füllte eine junge Dame einen Pappbecher mit
lauwarmem Saft und überreichte ihn uns mit einem verlegenen Lächeln und ohne
Kommentar.
    »Jetzt bricht mir das Herz!« stöhnte
ich verzweifelt.
    »Du darfst nicht in den Zirkus, aber du
darfst das Grab deiner Großmutter besuchen!« Maggie schmunzelte. »Es gibt noch
mehr
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