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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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Maggie murmelte: »An wen erinnert sie dich, mein Schatz?«
Plötzlich tauchte die Patientin unter den Tisch und begann die Karo-Vier
aufzuessen, die einzige praktische Lösung des Problems, was man mit einer
Karo-Vier anfangen soll. Karten aufessen, statt sie auszuspielen, galt an
diesem Bridgetisch nicht als comme il faut, und die Pflegerin überreichte der
guten Mrs. B. sofort eine neue Karo-Vier. Diesmal spielte sie sie mit einem
leisen Seufzer aus.
    Nach Ablauf eines Monats stand die
Patientin vor der Entlassung. Sie lachte und plauderte, anscheinend gesund und
normal.
    Ich wandte mich aufgeregt zu Maggie.
»Um Gottes willen, das sind doch wir! Diesen Film müßte man überall zeigen. Die
Leute würden sich dann nicht mehr davor fürchten, verrückt zu werden.«
    Maggie schüttelte den Kopf. »Dir
gefällt er nur wegen der Bridgepartie. Dieser Film würde nie ein Kassenerfolg
werden, solange etwa sechzig Prozent der Bevölkerung irgendwann einmal im Leben
in eine Anstalt kommen und die übrigen vierzig Prozent nahe daran sind. Und
wenn die Leute nicht aufhören, von der Atombombe zu reden, werden wir bald alle
hinter derartigen Gittern sitzen!« Sie schüttelte sich. »Es ist ein tröstlicher
Gedanke, daß die Verrücktheit nicht mehr ein Dauerzustand zu sein braucht.
Trotzdem läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich solch einen Film sehe.
Gehen wir nach Flause! Ich habe die Medizin so satt, daß ich schreien möchte!«
    Eine Stunde später saßen wir in Maggies
Zimmer, tranken Tee und warteten auf Pete und Jim. Maggie strampelte die Schuhe
los und rieb sich die Füße. »Die Füße tun mir weh, als ob ich großreinegemacht
hätte.« Seufzend sah sie sich im Zimmer um. »Und dieses Loch ist enger als ein
Brutofen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, daß ich mich entschlossen
habe, mein schönes Heim zu verlassen. Sicher, die Ausstellung war sehr
interessant, aber ich muß immerzu an die pädriatische Abteilung denken mit den
Fremdkörpern, die man aus Kinderlungen herausgeholt hat, und bin die ganze Zeit
unruhig, daß meine Jungens Bratpfannen, Haarnadeln und ähnliches Zeug
verschlucken!«
    Ich für meine Person bereute sogar ganz
entschieden, daß ich mitgefahren war. Die technische Ausstellung hatte mich so
deprimiert wie das Wiedersehen mit einem alten Liebhaber, der sich einen
Backenbart zugelegt hat, und was meinen frommen Wunsch betraf, mit Jim allein
sein zu dürfen — zu Hause saß er wenigstens mit mir am Mittagstisch!
    »Noch etwas, das komisch ist!« fuhr
Maggie fort. »Solange ich als Laborantin im Krankenhaus arbeitete, waren mir
die Patienten als menschliche Wesen gleichgültig. Ich bekam nur die
Gewebeproben zu sehen, nachdem man sie ins Laboratorium geschickt hatte, und
ich mußte mich beeilen, um rechtzeitig fertig zu werden, damit ich mit Pete
essen gehen konnte.«
    Pete kam herein und warf seinen Hut auf
das Bett. »Möchtest du nach Los Angeles mitkommen, Magnolia? Wir könnten heute
abend losfahren. Dort ist ein Obstetriker, den ich gern besuchen möchte, und
wenn ich mich dann ein Stündchen mit ihm unterhalten habe, können wir uns zwei
oder drei Tage lang die Sündenstadt ansehen.« Er wandte sich zu mir. »Ich habe
Jim gefragt, aber er will sich etwas anderes angeln.«
    »Natürlich — angeln!« sagte ich
erbittert und ging aus dem Zimmer.
    Es war fünf Uhr, und der dunstige
Juniabend hallte von dem Lärm der berufstätigen Menschen wider, die nach Hause
fuhren. Das Tuten der Autos mischte sich in das Rattern und Klappern der
Straßenbahnen. Der Verkehr der Market Street klang aus der Ferne wie dumpfes
Trommeln. Der Nebel dämpfte den Glanz der Neonlichter, und alle die fremden
Gäßchen reizten die Neugier wie Gesprächsfetzen, die man im Vorbeigehen
aufschnappt. Wenn sich Jim nur frei machen könnte, dachte ich, und starrte
wütend auf eine Frau hinunter, die am Arm ihres Mannes ging und zu ihm
emporlächelte. Irgendwann einmal würde ich zwei Tage mit Jim in San Francisco
verbringen, unter der Voraussetzung, daß der Kongreß des amerikanischen
Ärzteverbandes in New York stattfand. Irgendwann einmal würde ich zwei volle
Wochen mit ihm verbringen, und es würde mir gleichgültig sein, wo. Es ist gar
nicht so abwegig, wenn Kinder revoltieren und den frommen Wunsch äußern, sie
möchten eines schönen Tages in einer Bonbonfabrik arbeiten, dann könnten sie
soviel Bonbons essen, wie sie wollten.
    Als ich ins Hotel zurückkam, stand Jim
gerade unter der Dusche und sang:
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