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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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nicht in der freien Wirtschaft arbeitet; mit Jeans und T-Shirt, ohne Spange und Schal wäre die Frau eine Persönlichkeit, deren Interessen mehr ins Evangelische oder Psychologische gehen.
    Es gibt viele Beispiele, um diesen Tatbestand zu veranschaulichen: Leichter Anzug oder Kombination und Rollkragenpullover im Verbund mit ergrauenden Schläfen und festem Schuhwerk zeigen einen städtischen Berufsjugendlichen, also Knastpfarrer, Lehrer, Jugendbeauftragten oder CVJM-Leiter. Dieselbe Kleidung, wenn sie für die Jahreszeit etwas zu warm und robust erscheint, deutet auf seinen Kollegen aus dem ländlichen Bereich hin. Einen Bodybuilder oder Kraftsportler erkennt man an der im Nacken zu langen Dauerwelle und an seinem Blick, mit dem er die ganze Welt ansieht, als wäre sie ein Schnitzel. Einen Fan von Gitarrenrock erkennt man am frisierten Opel, seinen schmuddeligen Turnschuhen und dem Jeansanzug mit kurzer Jacke, ein Mitglied der DKP am Seehundschnurrbart und der schwarzen, halblangen Lederjacke mit den aufgesetzten Taschen. Undsoweiter undsoweiter .
    Die Kleidersprache funktioniert intern, das heißt, die jeweilige In-Group findet anhand der richtigen Zusammensetzung der Zeichen zueinander. Schwule erkennen einander am Halstuch zum farbigen Hemd. Ist das Hemd weiß, hat man einen Dirigenten oder Schriftsteller vor sich. Schauspieler erkennen einander an der repräsentativen Mimenfurche um die Mundwinkel und Schauspielerinnen an den schwarzen Oma-Klamotten, der schlampigen Frisur und der melodisch-markanten Stimme. Jede Gruppe erkennt ihre Mitglieder, ja sie reagiert überhaupt nur auf die äußeren Zeichen möglicher Mitgliedschaft. Ein flüchtiger Blick genügt also für den Männer-Vogue lesenden Anzugträger , um mich wegen meiner selbstgeschnittenen Haare oder der Micky Maus am Revers auszusortieren. Ich könnte im Jaguar daherkommen und würde doch nicht aufgenommen. Meine eigene Gruppe ignoriert jeden mit Bügelfalte, und ich kann mich unsichtbar und unverpflichtet mitten unter meinen Freunden bewegen. Auf Reisen, um nicht dauernd von jemandem angesprochen zu werden, der garantiert auch bis Hamburg fährt, hat sich die sorgfältige Komposition unpassender Einzelsignale bestens bewährt. War ich kurz vorher beim Friseur, dann ist es ratsam, Jeans mit Löchern und hungrige Schuhe zum eleganten Fischgrätjackett anzuziehen. Sind meine Haare lang, dann lohnt es sich nicht, auf die Rasur zu verzichten, dann genügen Turnschuhe und eine runde Sonnenbrille, um den eleganten mausgrauen Leinenanzug von Versace in seine signalmäßigen Grenzen zu verweisen. Nur noch ganz selten, wenn ich wirklich einsam bin, wenn es mir überflüssig und traurig erscheint, immer nur den eigenen Gedanken und Beobachtungen nachzuhängen, dann und nur dann suche ich sorgfältig im Kleiderschrank nach Sachen, die zueinander passen, gehe langhaarig und unrasiert, in Slippers und Hawaiihemd, mit Jeans und leichter Baumwolljacke auf die Piste. Und dann freue ich mich, wenn meine Freunde sagen: „Wo warst du denn die ganze Zeit?“

Schnäppchen
    Der, der immer alles ganz günstig kriegt

    Auf Flohmärkte geh’ ich schon lang nicht mehr. Seit mindestens fünfzehn Jahren steh’n mir Flohmärkte echt bis hier, du. Total bis hier oben steh’n mir die, und das nicht nur, weil ich vielleicht ein Achtel meiner Gesamtlebenszeit auf Flohmärkten verplempert hab’, sondern auch, weil die einen total über’n Tisch ziehen. Das geht mir inzwischen voll am Arsch vorbei. Du, voll. Hier. Verstehste? Die scheißen dich echt nur an. Ich weiß Bescheid. Hab’ selber mal ein halbes Jahr lang aufm Flohmarkt gejobbt. Nur Ablinke. Echt, totaler Supernepp.
    Nein, ich deck’ mich inzwischen mit allem, was ich so zur Runderneuerung meiner Sphäre brauche, direkt an der Quelle ein. Versteigerungen, Pleiten, Todesfälle, alles kein Problem, wenn man weiß, wo man suchen muß. Und neben mir feilschen die Flohmarktheinis und wollen’s noch billiger haben. Ich überbiete sie ein bißchen, bloß ein kleines bißchen, bei den Stücken, die ich brauche. Ich muß ja nichts dran verdienen, kann locker ‘n paar Mark drauflegen und zack, ist es mir.
    Mein Kombi ist von der Post, viertausend mit neuem TÜV und keine Inspektion ausgelassen. Das Fahrrad und der Lederkoffer, die Schreibmaschine und die Leicaflex vom Karlsruher Bahnhof. Die versteigern jährlich. Mein Geschirr mitsamt dem Schrank hab’ ich in der Eifel selber von einer alten Bäuerin abgebaggert. Allein
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