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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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erschöpfend diskutierbar war? Wo ist der letzte heißgeredete Kopf geblieben, wo der letzte willig sich in die Abgründe sophistischer, philosophischer oder kasuistischer Gedankengänge stürzende Jüngling? Weg sind sie allesamt. In die Welt der einträglichen Mediokritäten gefallen.
    Der eine beklagt den Steuersatz, der zweite hält Bildung für das, was er seinem Trizeps antut, der dritte, vierte und fünfte spielen Skat mit dem sechsten, den sie um die gute Figur beneiden, die er in seinem Jogginganzug noch immer macht. Undsoweiter ad infinitum.
    Ach, ich bin einsam. Ich passe nicht in diese Zeit. Herrje, apropos Zeit. Ich habe meiner Frau versprochen, in den Massa-Markt zu fahren. Sie hat Dienst bis neun Uhr. Ich soll die Pampers für Ignaz und das Kettcar für Emmanuel nicht vergessen, sagte sie vorhin am Telefon. Ein Glück, daß ich das Drahtlose ins Gartenhaus mitgenommen habe, sonst hätte sie mich gar nicht erreicht. Alles andere steht auf dem Zettel an der Pinnwand. Ich muß los, mein 2CV ist nicht der schnellste.
    Aber ich liebe an ihm die Illusion, daß zwei, nur zwei und keine fünfundachtzig Pferde ihn bewegen. Zwei feurige Traber edlen Geblüts, deren Rist vor mir gemessen im Abendwind wippt. Mein Zweispänner. Leider steht vor dem Massa-Markt kein Stallknecht, der mir devot die Zügel aus der Hand nimmt, um Castor und Pollux alsbald den Hafersack über die Kruppe zu werfen. Meine Uhr geht einfach zweihundert Jahre nach.

Doch
    Der, der eigentlich nur noch
    klassische Musik hört

    Also irgendwann kommt man halt doch in das Alter, wo man den Blues einfach nicht mehr so hat. Jetzt in dem Sinne mal. Ich bin keine vierunddreißig mehr, das Leben geht weiter, schließlich lernt man auch noch was dazu. Ich hab’ jetzt „Die letzte Welt“ gelesen, den Bestseller von Ransmayer, ist mir ja eigentlich unverständlich, daß das so ein Bestseller geworden ist … ja doch, ist ein ganz tolles Buch, aber ich frage mich, ob das all die Leute, die’s gekauft haben, also ob die das auch lesen? Ich weiß ja nicht. Doch, es ist toll, interessantes Thema auch, die ganze Sache da mit Ovid und so, doch, aber ich würde sagen, nicht direkt für Otto Normalverbraucher. Diese Zeitsprünge und dann die Sprache, also ich könnte mir vorstellen, nicht für mich natürlich, aber irgend jemand ganz Normales, also dem müßte das doch eigentlich zu schwierig sein. Na ja, darum ging’s mir grad’ eigentlich nicht, was ich sagen wollte: Ich hör’ eigentlich nur noch klassische Musik.
    Ja, irgendwann hat man doch auch den Elvis mal satt. Schon, ein gepflegter Jazz, nicht zu free und nicht zu nervös, George Winston oder so, oder Jarret, da sag’ ich nicht nein, aber eigentlich hör’ ich doch jetzt eher Klassik.
    Sonntag morgens zum Beispiel zum Frühstück, also da geht mir nichts über meine Vier Jahreszeiten. Ganz toll. Die Anne-Sophie Mutter da mit dem Karajan, ich mag den ja. Ich finde nicht, daß der alles zu schnell dirigierte. Ich finde, der hatte irgendwie Pep. Doch. Toll. Wenn ich den Spiegel lese: Moldau oder Pastorale; beim Autofahren, sehr gern mal den Bolero, nein, das heißt nicht seit neuestem Autofahren, ich meine wirklich Autofahren. Carmen oder so was tu’ ich auch mal rein, aber nur, wenn ich draufdrücken kann. Im Stadtverkehr ist das nichts. Und wenn ich allein in der Wohnung bin, Nummer eins b-Moll von Tschaikowsky. Ganz laut. Bis im roten Bereich. Da darf die CD mal zeigen, was sie kann. Doch, ganz toll. Kann ich so richtig drin schwelgen.
    Meine Mutter hat gemeckert, als ich letzte Weihnachten die Brandenburgischen Konzerte aufgelegt habe, aber ich bin eisern geblieben. Kein Stille Nacht, kein Heidschi Bumbeidschi, die kann ruhig auch mal was Anständiges anhören. Wenn sie schon bei mir zu Besuch ist, hab’ ich auch die Auswahl der Musik unter mir.
    Ich bin zur Klassik gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Bei uns zuhause gab es keinen Musikunterricht oder sowas, das hab’ ich mir alles selber angeeignet. Da gab’s doch damals diese Gruppe Ekseption, die haben so klassische Sachen verpoppt, das fand ich damals ganz toll. Emerson, Lake and Palmer auch, ich weiß nicht, erinnerst du dich noch an die? Ja, und dann Jacques Loussier und Eugen Cicero, das hat uns der Musiklehrer mal vorgespielt. Fand ich auch nicht schlecht. Ja, und so bin ich zur Klassik gekommen. Als ich mir dann diese Hi-Fi-Sachen gekauft habe, also das reizt man mit keiner Barry-White-Platte aus, was die Anlage bringt. Das geht
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