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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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für alle, wenn die anderen Bestände knapp wurden. Und das wurden sie regelmäßig.
    Eddie allein hat soviel verputzt wie die ganzen Tannahill Weavers zusammen. Und die Wild Geese , die sie letzten Sommer wieder hier hatten, schlugen ihren eigenen Rekord von eineinhalb Kisten pro Mann und Abend. Oder war das pro Mann und Stunde? Zum Dubliners Konzert in Karlsruhe ist jedenfalls vernünftigerweise keiner vom Club gefahren, sondern sie haben einen Bus gechartert, und der Fahrer hatte sogar Humor. Den brauchte er allerdings auch. Vor allem für die Rückfahrt.
    Seine kragenlosen gestreiften Fischerhemden, von denen er fünfzehn Stück besitzt, kommen jedenfalls gerade wieder in Mode. In den letzten Jahren glotzten ihn die Leute noch an, als wäre er aus dem Altglascontainer gekrochen, aber seit kurzem hat ihr Blick wieder so was Flüchtig-Interessiertes. So was Fragendes. So was wie „ Muß man das schon wieder tragen, oder darf man es nur schon wieder“. Wenn ihr Blick dann allerdings auf seine Cordhosen fällt, dann erlischt das Flüchtig-Interessierte sofort wieder. Dann erkennen sie ihn in seiner ganzen anachronistischen Lächerlichkeit. Die Cordhosen müssen noch eine Weile warten, bis sie wieder in Mode kommen. Wenn sie sehen könnten, was er liest, dann wär’s völlig aus. Heinrich Böll. Gut, der Mann. Aber halt auch nicht grad total up to date. Ist ihm wurscht. Wie sagte doch dieser Tübinger Studentendichter damals: „Der echte Ire gießt sein Guinness nicht neben sein Glas, sondern in es.“ Das ist sein Wahlspruch. Sein einziger. Außer vielleicht noch „Hey Do Diddlediday, Diddledi Diddledi Day Day Day …“

Einer gegen Alle
    Der Anachronist

    Ach wissen Sie, ich passe nicht in diese Zeit. Ist mir alles zu laut und vulgär. Mag ja sein, daß jeder seines Glückes Schmied ist, aber leider wird darob auch jeder, mit dem ich zu tun bekomme, zu meines Sarges Nagel. Ich vermisse das Feine, vermisse die beschauliche Ruhe reputierlicher Gelehrsamkeit, vermisse, das kann ich ruhig zugeben, den Respekt, der mir gebührte. Ich vermisse, kurz gesagt, die Unterschiede.
    Dabei sind sie ja vorhanden. Ich habe mit dem charakterlich geölten Cabriolettisten, dessen Abgasgestank durch den Efeu in meinen Dichterwinkel fährt, dessen Lärmgemisch aus tackernder Discomusik und viel zu hohen Drehzahlen meine Gedankengänge attackiert, nichts gemein. Nur leider weiß er das nicht. Ich kann füglich annehmen, daß er sich in meinem Respekte wähnt, ob der allfällig demonstrierten Potenz seines technischen Besitztums . Welch ein Irrtum.
    Und was ist davon zu halten, daß die schönsten Frauen immer in der Nähe Reicher oder Mächtiger, was übrigens nahezu generell eins ist, gesehen werden? Die Zweitschönsten finden wir bei Männern, deren Neigungen oder Berufe einen hohen Freizeitwert signalisieren, und erst von den Drittschönsten an abwärts finden wir gelegentliches Entzücken an einem Dichterwort oder Achtung vor einem anderen Werk des Geistes.
    An ihrem Glück, wie gesagt, schmieden sie alle, doch an ihrem Talent, ein Glück, wenn ihnen denn eines einst begegnete, überhaupt von etwas anderem zu unterscheiden, daran zweifle ich. Ist denn Kunst zu erleben nicht Glück? Ist denn Glück zu verstehen nicht eine Kunst? Und halten diese Frauen nicht Konstantin Wecker für Kunst, ohne zu merken, daß es der virile Schweiß auf seiner Stirn, der kasernenhoftauglich befehlsgewohnte Brustton sowie das immense Schultergebirge, das er kraftstrotzend ins Klavier zu graben scheint – daß es diese wenn überhaupt, dann allenfalls sekundären Tugenden sind, die sie betören? Kunst? Ich bitte Sie. Eine überdimensionierte Amorette, die sich als Möbelpacker gibt, bestenfalls. Und glauben dieselben Frauen nicht, ein Hauch von Geschichte umwehe sie, wenn Angelo Branduardi so knaben- wie vagantenhaft die ondulierte Lockenpracht schüttelt? Glauben sie nicht, das Weben inkarnierter Wesen rühre an ihre Gänsehaut, wenn Andreas Vollenweider sein flockig-leichtes Harfenmüsli über ihre erweckungsfroh geneigten Häupter streut? Nein, die Frauen, zumal die schönsten mit ihrem unstillbaren Drang nach rechtzeitigem Wucher mit dem vergänglichen Glanz ihrer Anmut, sind keine Gefährtinnen des Geistes. Sie nähmen ihn allenfalls hin in Verbindung mit einer recht bald zu erbenden Villa.
    Und wo bleiben die Männer? Die Bundesgenossen von einst, mit denen noch in bezechtestem Zustand Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“
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