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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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haben sich gekreuzt, das ist alles. Wenn zwischen euch wenigstens was Persönliches wäre!«
    »Nein, gerade dann hätte ich kein Recht, mich …« Ich redete nicht weiter. Damals in Trefeuntec hatte ich schon mal das Recht in meine Hände genommen. Wollte ich mir beweisen, daß ich es aus Prinzip tat und also auch damals nicht nur eine persönliche Rechnung beglichen hatte?
    Brigitte schüttelte den Kopf. »Du bist doch nicht Gott!«
    »Nein, Brigitte, ich bin nicht Gott. Ich kann mich nicht damit abfinden, daß er Schuler und Samarin umgebracht hat, reich und zufrieden ist, und das war’s. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden.«
    Sie sah mich an, traurig und besorgt. Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände und küßte mich auf den Mund. Sie hielt meinen Kopf und sagte: »Manu wartet, ich muß los. Laß Welker.« Sie sah in meinen Augen, wie mich meine Ohnmacht quälte. »Ist es so schlimm? Ist es so schlimm, weil du denkst, daß du alt bist, wenn du nichts tust?« Ich sagte nichts. Sie forschte in meinen Augen nach einer Antwort. »Laß ihn. Nur wenn’s … nur wenn’s dich anders umbringt. Aber dann paß auf, hörst du? Welker ist mir egal, tot, lebendig, gut dran, schlecht dran. Du bist mir nicht egal.«
    Dann war sie weg, und ich setzte mich auf den Balkon, rauchte und sah in die Nacht. Ja, Brigitte hatte recht. Meine Ohnmacht quälte mich, weil sie mich mein Alter spüren ließ. Sie brannte mir ins Gedächtnis, wie oft ich nur nachträglich hatte registrieren können, daß ich zu langsam gewesen war. Sie brannte mir meine Schuld an Schulers Tod ins Gedächtnis. Sie besiegelte, daß ich weder als Staatsanwalt noch als Privatdetektiv etwas hinterließ, worauf ich richtig stolz war. Sie fraß an mir wie eine Wut, eine Angst, ein Schmerz, eine Beleidigung. Wenn sie mich nicht auffressen sollte, mußte ich etwas tun.
    Ehe ich ins Bett ging, holte ich aus der Wäschekommode den Revolver, der dort seit Jahren liegt. Lange hatte ich keine Waffe, und auch diese hatte ich nicht haben wollen, aber, als ich sie einmal hatte, nicht wegwerfen können. Ein Kunde hatte sie mir in Verwahrung gegeben und nicht mehr abgeholt. Ich legte sie auf den Küchentisch und sah sie an: schwarz, handlich, tödlich. Ich nahm sie in die Hand, wog sie und legte sie wieder auf den Tisch. Sollte ich sie mir, um mit ihr vertraut zu werden, unters Kopfkissen legen?

18
Mit Blaulicht und Sirene
    Ich wachte auf, als es noch dunkel war, und wußte, daß etwas nicht stimmte. In meiner Brust war etwas Falsches und füllte den Raum, in den ich einatme und in den mein Herz sich ausdehnt, wenn es schlägt. Es war kein Schmerz. Aber es war da, beengend, beharrlich, gefährlich.
    Mit einem Mal waren meine Stirn und meine Handflächen schweißnaß. Ich hatte Angst, und mir war, als sei auch das Falsche in meiner Brust Angst, eine zähe, flüssige, zersetzende Angstmaterie.
    Ich bin aufgestanden, ein paar Schritte gelaufen, habe zuerst das Fenster und dann die Tür zum Balkon aufgemacht und tief durchgeatmet. Aber das Falsche in meiner Brust ging nicht weg, sondern wurde dichter. Es wurde zu einem Druck. Zugleich wurde die Angst zur Panik.
    Dann ließ der Druck nach, und ich beruhigte mich. Hatte mein letzter Herzinfarkt nicht in den linken Arm gestrahlt? Ich spürte im linken Arm nichts. Gleichwohl entschloß ich mich, in Zukunft gesünder zu leben, nicht mehr zu rauchen, nicht mehr zu trinken und mich körperlich zu betätigen. Philipp machte das Goldene Sportabzeichen – ob ich das Bronzene schaffen würde? So dachte ich freundliche, zuversichtliche Gedanken. Bis der Druck wiederkehrte und der Schweiß wieder ausbrach und ich voller Panik merkte, daß der Druck blieb und sich in langsam an- und ausrollenden Wellen steigerte. Ich setzte mich aufs Bett, umfaßte meine Brust mit beiden Armen, schaukelte vor und zurück und hörte mich leise wimmern.
    Aber der Druck hatte nur den Schmerz vorbereitet. Auch er kam in Wellen, manchmal in langsamen und manchmal in schnellen, kein Rhythmus, auf den ich mich einstellen konnte. Der erste Einsatz des Schmerzes war wie ein Stromstoß, der meine Brust zusammenkrampfte. Er elektrisierte auch mein Gehirn. Ich dachte wach und klar und begriff, daß ich handeln mußte. Wenn ich nicht handeln würde, würde ich sterben. Es war kurz nach fünf.
    Ich rief den Notdienst an, und nach zwanzig Minuten kamen zwei Sanitäter vom Roten Kreuz mit einer Trage. Zwanzig Minuten, in denen die Schmerzen wie Wellen durch mich
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