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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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mehr hören. Die Eltern haben uns mit ihren Leiden im Krieg und ihren Heldentaten beim Wiederaufbau und beim Wirtschaftswunder gelangweilt, die jungen Lehrer mit ihren Mythen von 1968. Haben Sie auch einen Mythos anzubieten? Hören Sie auf. Ich muß sehen, wie ich Weller & Welker durchkriege. Wir sind ein Anachronismus. Auf dem großen Meer der Wirtschaft sind wir unter all den Tankern und Containerschiffen, Zerstörern und Flugzeugträgern eine kleine Barkasse, die bei schwerer See, die die Großen ruhig durchpflügen, hin und her geworfen wird. Ich weiß nicht, wie lange wir’s noch machen. Vielleicht haben die Kinder keine Lust mehr. Vielleicht habe schon ich eines Tages keinen Spaß mehr daran. Ich gehöre sowieso nicht hierher. Ich wäre besser Arzt geworden und hätte daneben Bilder gesammelt oder vielleicht sogar gemalt. Ich bin altmodisch, wissen Sie. Nicht in dem Sinn, daß mich die Vergangenheit doch noch interessierte. Aber ich hätte gerne ein beschauliches, altmodisches Leben gelebt. Altmodisch – daß ich der Familientradition gehorcht habe und jetzt die Bank führe, ist auch altmodisch. Und es geht nur ganz oder gar nicht, und solange ich die Bank führe, solange es uns noch gibt, fährt niemand mit uns Schlitten«, er wiederholte mit Nachdruck: »Niemand.« Dann lächelte er wieder. »Sie lassen mir das schiefe Bild durchgehen? Die Barkasse, die zum Schlittenfahren natürlich ungeeignet ist?«
    Er stand auf und ich auch. Ich hatte seine Worte satt. Seine wohlüberlegten, wohlgesetzten Lügen, Wahr- und Halbwahrheiten.
    Auf der Treppe sagte er: »Wie einem alte Gewohnheiten doch zum Verhängnis werden können.«
    »Was meinen Sie?«
    »Wenn Schuler das Catapresan nicht in die Flasche umgefüllt hätte, hätte niemand es austauschen können.«
    »Er hat es nicht aus alter Gewohnheit umgefüllt. Seine Nichte hat es gemacht, weil seine arthritischen Finger die Tabletten nicht aus der Folie bekamen.« Dann fiel mir ein, daß ich ihm gegenüber von einem Medikament für Bluthochdruck, aber nicht von Catapresan gesprochen hatte. Hatte er sich verraten? Ich blieb stehen.
    Auch er blieb stehen, drehte sich zu mir um und sah mich freundlich an. »Der Name des Medikaments war doch Catapresan?«
    »Ich habe …« Aber es hatte keinen Zweck, auf dem Band »Ich habe keinen Namen genannt« zu dokumentieren. Es würde nichts beweisen. Es Welker zu sagen hatte ohnehin keinen Zweck. Er wußte es. Er hatte sich einen kleinen Spaß erlaubt.

16
Unschuldsvermutung
    Ich bin nach Hause gefahren und habe mich auf den Balkon gesetzt. Ich rauchte eine und eine zweite, und die dritte schmeckte wieder, wie die Zigaretten schmeckten, als ich noch so viele rauchte, wie ich wollte.
    Ich war wütend. Auf Welker. Auf seine Überlegenheit, Gelassenheit, Dreistigkeit. Darauf, daß er mit zwei Morden davonkam, mit dem Diebstahl der stillen Teilhaberschaft, mit der Geldwäsche. Darauf, wie er mich hatte wissen lassen, daß er’s gewesen war, daß ich aber nicht meinen sollte, ich käme gegen ihn an. Ich sollte nicht meinen, ich käme gegen ihn an? Er sollte nicht meinen, er käme davon!
    Ich rief die Freunde an, lud sie auf den Abend ein und machte es dringend. Nägelsbachs, Philipp und Füruzan versprachen, um acht dazusein. »Gibt’s was zu feiern?« – »Gibt’s was zu essen?« – »Spaghetti Carbonara, wenn ihr Hunger habt.« Brigitte sagte, sie könne erst später kommen.
    Sie hatten keinen Hunger. Sie wußten nicht, was sie von der plötzlichen Einladung halten sollten, saßen abwartend herum und drehten die Weingläser. Ich sagte nur, daß ich mit Welker gesprochen und das Gespräch aufgenommen hatte. Dann spielte ich die Kassette ab. Als sie zu Ende war, sahen sie mich fragend an.
    »Erinnert ihr euch? Welker hat mir den Auftrag, den stillen Teilhaber zu finden, damals nur gegeben, um mich ins Spiel zu bringen, ohne daß Samarin Verdacht schöpfen wurde. Banken- und Familiengeschichten, Geschichten von gestern und vorgestern – das klang unverdächtig. Im Spiel haben wollte Welker mich, damit ich zur Stelle wäre, wenn er die Gelegenheit bekäme, sich gegen Samarin zu wenden. Eigentlich interessierte ihn der stille Teilhaber nicht.
    Aber dann wurde er interessant. Er bekam ein Gesicht – nicht im übertragenen, sondern durchaus im wörtlichen Sinne. Ein Gesicht mit fliehender Stirn, großen Ohren und Basedow-Augen. Ihr werdet es wiedererkennen.« Ich reichte Labans Porträt herum.
    »Scheiße«, sagte Philipp.
    »Weller
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