Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
Sie haben mir doch gerade erklärt, daß wir verschiedene Sprachen sprechen.«
    Er sah mich traurig an, und mit Schrecken nahm ich wahr, daß es derselbe ratlose, ein bißchen dümmliche Blick war, den Klara auch haben konnte. Auch die verbohrte Entschlossenheit in seinem Gesicht kannte ich von Klara.
    »Tun Sie nichts, Herr Ulbrich. Fahren Sie zurück und verdienen Sie, solange es bei der Sorbischen noch zu verdienen gibt, ewig wird es nicht sein. Verdienen Sie so viel, daß Sie ein Büro aufmachen können, in Cottbus oder Dresden oder Leipzig: Karl-Heinz Ulbrich. Private Ermittlungen. Und wenn Sie mal zuviel zu tun haben, rufen Sie mich an, und ich komme und helfe aus.«
    Er lächelte, ein kleines, schiefes Lächeln gegen die verbohrte Entschlossenheit.
    »Welker hat Sie benutzt – benutzen jetzt Sie ihn! Benutzen Sie ihn, um den Grund für das zu legen, was Sie machen wollen. Verstricken Sie sich nicht in eine Abrechnung, bei der Sie selbst dann verlieren, wenn Sie sie gewinnen.«
    Er schwieg. Dann trank er das Glas leer. »Ein guter Wein.« Er rückte an den vorderen Rand des Sofas und saß, als wisse er nicht, ob er sitzen bleiben oder aufstehen soll.
    »Wollen wir nicht die Flasche zusammen austrinken?«
    »Ich glaube …« Er stand auf. »Ich glaube, ich gehe besser. Vielen Dank auch.«

15
Einen Spaß erlaubt
    So trank ich die Flasche alleine aus. Etwas tun, das Welker nicht vergessen wird – wenn Ulbrich es auf Welkers Leben abgesehen hätte, hätte er sich wohl anders ausgedrückt. Aber worauf hatte er es abgesehen? Und was sollte es sein, das Welker nicht vergessen würde, er, der die guten Sachen in Erinnerung behielt und die schlechten vergaß?
    Ich dachte an Schuler und Samarin. Wenn Welker sie nicht schon vergessen hatte, würde er sie bald vergessen. Keine gute Sache, die ihm mit ihnen passiert war und die er mit ihnen gemacht hatte. Etwas tun, damit er sie nicht vergessen würde? Ihn umbringen? Tote vergessen nicht.
    Ich schlief nicht gut. Ich träumte von Körten, der mit wehendem Mantel in die Tiefe stürzt. Ich träumte von unserem letzten Gespräch, von meinem »ich bin gekommen, um dich umzubringen« und seinem höhnenden »um sie wieder lebendig zu machen?«. Ich träumte von Schuler, der schwankend auf mich zukam, und von Samarin in der Zwangsjacke. Dann geriet alles durcheinander, Welker stürzte von der Klippe, und Schuler höhnte: »Um mich wieder lebendig zu machen?«
    Am Morgen rief ich Welker an. Ich müsse ihn sprechen.
    »Wollen Sie anlegen?« Er klang fröhlich.
    »Einzahlen, anlegen, abheben – wie man’s nimmt.«
    Mit zwei neuen Batterien funktionierte mein altes Aufnahmegerät wieder. Es gibt heute kleinere, die besser und länger aufnehmen und eleganter aussehen. Aber mein altes tat’s. Auch meine alte Cordjacke tat’s; sie hat ein Loch in der Rückseite des Revers und eines in der Brust der Jacke, so daß das Kabel verborgen vom Aufnahmegerät in der Innentasche bis zum Mikrophon im Revers führt. Wann immer ich das Taschentuch aus der Innentasche nehme und mir den Schweiß von der Stirn wische oder die Nase putze, kann ich das Aufnahmegerät an- und ausmachen.
    Um zehn saß ich bei Welker im Büro. Er breitete die Arme aus. »Sie sehen, hier ist alles wie bei Ihrem letzten Besuch. Ich wollte umbauen, verändern, verschönern. Aber ich komme nicht dazu.«
    Ich sah mich um. Ja, es hatte sich nichts verändert. Nur daß die Kastanien, die ich durchs Fenster sah, sich zu färben begannen.
    »Wie Sie wissen, war der alte Schuler, ehe er mit der Isetta gegen den Baum fuhr und starb, bei mir. Er brachte mir nicht nur Geld. Er hatte dazugelegt, was er über Laban und Samarin herausgefunden hat.«
    Welker sagte nichts.
    »Er hat es Ihnen an dem Abend eröffnet, als Sie und Samarin bei ihm waren und Samarin gerade draußen war.«
    Wieder sagte Welker nichts. Wer nichts sagt, sagt auch nichts Falsches.
    »Später, als Sie draußen waren, haben Sie gesehen, daß Schuler ein Medikament gegen Bluthochdruck nahm, das nicht plötzlich abgesetzt werden darf. Sie verstehen ja was davon. Dann haben Sie sich in Schulers reichem Medikamentenarsenal nach ähnlich aussehenden Tabletten umgesehen und auch welche gefunden. Sie haben die Tabletten umgefüllt, einfach mal so. Vielleicht würde es Schuler umbringen – das wäre das beste. Vielleicht würde es ihn nur verwirren, auf Dauer, für länger, für kürzer – auch nicht schlecht. Vielleicht würde er’s merken und korrigieren. Auch dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher