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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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war das Umfüllen ohne Risiko für Sie. Schuler hätte sich selbst oder seiner Nichte Vorwürfe gemacht, wäre aber nie darauf gekommen, Sie zu verdächtigen.«
    »Gewiß nicht.« Er sagte es, wie man im Gespräch das, was der andere gesagt hat, aufgreift, um ihm zu zeigen, daß man aufmerksam und konstruktiv bei der Sache ist. Dabei sah er mich mit seinen intelligenten, sensiblen und melancholischen Augen teilnehmend an, als hätte ich ein Problem und bäte um Hilfe.
    »Daß Sie auch Arzt sind, wußte ich. Aber ich habe diese Tatsache mit dem, was ich über das Blutdruckmittel wußte und mit Schulers Zustand vor dem Unfall nicht zusammengebracht, solange ich Ihr Motiv nicht sah. Erst dann bin ich darauf gekommen, die Tabletten im Fläschchen untersuchen zu lassen.«
    »Mhm.« Er fragte nicht: »Mein Motiv? Was soll mein Motiv gewesen sein? Worin sehen Sie mein Motiv?« Er sagte nur »mhm«, saß weiter entspannt und sah mich weiter teilnehmend an.
    »Das war Mord, Herr Welker, auch wenn Sie nicht sicher waren, daß der Austausch der Medikamente Schuler umbringen würde. Es war Tötung aus Habgier. Zwar hat Samarins Großvater 1937 oder 1938 auf alle Rechte und Ansprüche aus der stillen Teilhaberschaft verzichtet. Aber der damalige Verzicht eines Juden gegenüber seinen arischen Geschäftspartnern dürfte nicht viel taugen. Samarins Ansprüche wären unangenehm geworden.«
    Er lächelte. »Das wäre nicht ohne Ironie, nicht wahr? Wenn die stille Teilhaberschaft, die mein Vorwand war, um Sie ins Spiel zu bringen, zur Gefahr für mich geworden wäre?«
    »Ich finde es nicht komisch. Ich finde auch den Mord an Samarin nicht komisch, den Sie mit klarem und kühlem Kopf begangen und uns als die Tat eines Verzweifelten präsentiert haben. Ich finde auch nicht komisch, daß Sie Samarins Geschäfte weiterführen. Nein, ich sehe keine Komik …«
    »Ich habe ›Ironie‹ gesagt, nicht ›Komik‹.«
    »Ironie, Komik – jedenfalls sehe ich nichts, worüber ich lachen könnte. Und wenn ich daran denke, daß Samarin, der Schuler nicht ermordet hat, vermutlich auch Ihre Frau nicht ermordet hat, wovon Sie immer voller Erschütterung geredet haben, vergeht mir das Lachen vollends. Was war mit Ihrer Frau? Fanden Sie, wo sie nun schon tot war, könnte sie sich als Mordopfer noch ein bißchen nützlich machen? Oder war es doch kein Unfall? Haben Sie selbst Ihre Frau umgebracht?« Ich war wütend.
    Ich dachte, jetzt werde er sich wehren. Er müsse sich wehren. Er dürfe sich, was ich gesagt hatte, nicht gefallen lassen. Tatsächlich setzte er die Beine, die er übereinander-geschlagen hatte, nebeneinander, stützte die Arme auf die Knie, schürzte schmollend und verdrossen die Lippen und schüttelte langsam den Kopf. »Herr Selb, Herr Selb …«
    Ich wartete.
    Nach einer Weile richtete er sich im Sessel auf und sah mich direkt an. »Fest steht, daß Gregor in einer Zwangsjacke im Luisenpark erschossen wurde. Wie er in den Luisenpark, in die Zwangsjacke und zu Tode kam – warum gehen Sie nicht zur Polizei, wenn Sie dazu etwas zu sagen haben? Fest steht weiter, daß Schuler Bluthochdruck hatte und daß er vor Ihrem Büro gegen einen Baum fuhr und starb. Wenn er Ihnen davor noch etwas gebracht hat, wenn Sie ihn davor noch gesehen haben und er in schlechter Verfassung war – warum haben Sie ihn ins Auto steigen lassen? Will sagen, daß es sicher noch die eine und die andere Ungereimtheit gibt. Vielleicht auch beim Tod meiner Frau, bei dem die Polizei natürlich als ersten mich verdächtigt, den Verdacht dann aber entschlossen verabschiedet hat. Aber mit Ungereimtheiten müssen wir nun einmal leben. Wir können doch nicht mit haltlosen Anschuldigungen …« Er schüttelte noch mal den Kopf.
    Ich wollte intervenieren, kam aber nicht dazu.
    »Das ist das eine, was ich Ihnen sagen wollte. Das andere ist – sehen Sie, mich interessieren die alten Geschichten nicht. Das Dritte Reich, der Krieg, die Juden, stille Teilhaber, tote Erben, alte Ansprüche – das ist Schnee von gestern. Damit habe ich nichts zu tun. Darauf lasse ich mich nicht ein. Es langweilt mich. Mich geht auch der Osten nichts an. Wenn er drüben bleibt, ist’s mir am liebsten. Aber wenn er rüberkommt und sich hier einnistet und einmischt und mich übernehmen will, muß ich ihm zeigen, daß nur umgekehrt ein Schuh draus wird. Samarin mit seinen Russen kam hierher, um mich zu übernehmen – vergessen Sie das nicht.
    Die Vergangenheit, die Vergangenheit. Ich kann’s nicht
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