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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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wenn Sie mich besuchen. Das Frühjahr ist schön am Lago Maggiore.«
    »Ich werde kommen. Bis dann.«
    Tyberg hatte verstanden. Es tat mir gut, einen heimli-358
    chen Mitwisser zu haben, der mich nicht um Rechen-schaft fragen würde.
    Die Tür sprang auf, und meine Gäste verlangten nach mir. »Wo versteckst du dich denn, Gerd. Füruzan führt uns gleich einen Bauchtanz vor.« Wir räumten eine Tanzfläche frei, und Philipp schraubte eine rote Birne in die Lampe. Füruzan kam in einem Schleier-, kordel-und glitzerbehängten Bikini aus dem Badezimmer. Manuel und Jan fielen schier die Augen aus dem Kopf. Die Musik begann klagend und langsam, und Füruzans erste Bewegungen waren von ruhiger, lasziver Geschmei-digkeit. Dann steigerte sich die Musik und mit ihr der Rhythmus von Füruzans Tanz. Röschen fing an zu klatschen, alle fielen ein. Füruzan löste die Schleier, ließ rasend die Kordel kreisen, die sie im Bauchnabel veran-kert hatte, und der Zimmerboden bebte. Als die Musik erstarb, endete Füruzan den Tanz in triumphierender Pose und warf sich Philipp in die Arme. »Das ist die Liebe der Türken«, lachte Philipp. »Lach du nur, ich krieg dich schon, mit türkischen Frauen spielt man nicht.« Sie sah ihm stolz ins Auge. Ich brachte ihr meinen Hausmantel.
    »Halt«, rief Eberhard, als sich das Publikum wieder auflösen wollte. »Ich lade Sie ein zur atemberaubenden Show des großen Magiers Ebus Erus Hardabakus.« Und er ließ Ringe kreisen und ineinandergreifen und ausei-nanderfallen, aus gelben Tüchern rote werden, zauberte Münzen her und wieder weg, und Manuel durfte kon-trollieren, daß alles mit rechten Dingen zuging. Der Trick mit der weißen Maus ging schief. Turbo sprang bei 359
    ihrem Anblick auf den Tisch, warf den Zylinder um, in dem Eberhard sie hatte verschwinden lassen, jagte sie durch die Wohnung und brach ihr hinter dem Eisschrank spielerisch das Genick, ehe einer von uns inter-venieren konnte. Daraufhin wollte Eberhard Turbo das Genick brechen, zum Glück fiel ihm Röschen in den Arm.
    Jan war dran. Er brachte ›Die Füße im Feuer‹ von Conrad Ferdinand Meyer zum Vortrag. Neben mir saß bang Hadwig, und ihre Lippen sprachen das Gedicht stumm mit. »Mein ist die Rache, spricht der Herr«, donnerte Jan zum Schluß.
    »Füllt Gläser und Teller und kommt wieder her«, rief Babs, »die Show geht weiter.« Sie tuschelte mit Rö-
    schen und Georg, und die drei schoben Tische und Stühle weg und machten aus der Tanzfläche eine kleine Bühne. Filme raten. Babs pustete aus vollen Backen, und Röschen und Georg liefen davon. »Vom Winde verweht«, rief Nägelsbach. Dann schlugen Georg und Röschen aufeinander ein, bis Babs zwischen sie trat, ih-re Hände nahm und ineinanderlegte. »Kemal Atatürk im Krieg und im Frieden!«
    »Zu türkisch, Fürzchen«, sagte Philipp und tätschelte ihren Oberschenkel, »aber ist sie nicht gescheit?«
    Es war halb zwölf, und ich vergewisserte mich, daß genug Sekt im Eis lag. Im Wohnzimmer hatten Röschen und Georg die Musikanlage übernommen und jagten die alten Platten in die Lautsprecher. »Eins und eins, das macht zwei«, sang Hildegard Knef, und Philipp versuchte, Babs durch den engen Korridor zu walzen. Die 360
    Kinder spielten mit dem Kater Fangen. Im Bad duschte Füruzan den Schweiß des Bauchtanzes ab. Brigitte kam zu mir in die Küche und gab mir einen Kuß. »Ein schö-
    nes Fest.«
    Fast hätte ich das Klingeln überhört. Ich drückte auf den Türöffner, aber dann sah ich durch das gehämmerte Glas der Wohnungstür die grüne Silhouette und wußte, daß der Besucher schon oben war. Ich öffnete. Vor mir stand Herzog in Uniform.
    »Es tut mir leid, Herr Selb …«
    Das war also das Ende. Man sagt, es passiere kurz vor der Hinrichtung, aber mir schossen jetzt wie ein Film die Bilder der vergangenen Woche durch den Kopf, Kortens letzter Blick, die Ankunft in Mannheim am Morgen des ersten Feiertags, Manuels Hand in meiner, die Nächte mit Brigitte, unsere ausgelassene Runde unter dem Weihnachtsbaum. Ich wollte etwas sagen. Ich brachte keinen Ton heraus.
    Herzog ging an mir vorbei in die Wohnung. Ich hör-te, wie die Musik leiser gedreht wurde. Aber die Freunde lachten und redeten munter weiter. Als ich mich ge-faßt hatte und ins Wohnzimmer ging, hatte Herzog ein Glas Wein in der Hand, und Röschen, ein bißchen blau, spielte mit den Knöpfen seiner Uniform.
    »Ich war gerade auf dem Heimweg, Herr Selb, als im Funk die Beschwerde über Ihr Fest durchkam. Da
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