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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Apparat.
    Sie wollen mich sprechen?«
    »Guten Tag, Herr Doktor. Herr Generaldirektor
    Korten möchte Sie sehen.« Niemand außer Frau Schlemihl redet mich mit ›Herr Doktor‹ an. Seit ich nicht mehr Staatsanwalt bin, mache ich keinen Gebrauch von meinem Titel; ein promovierter Privatdetektiv ist lä-
    cherlich. Aber als gute Chefsekretärin hat Frau Schlemihl nie vergessen, wie Korten mich ihr bei unserer ersten Begegnung Anfang der fünfziger Jahre vorgestellt hatte.
    »Worum geht es?«
    »Das möchte er Ihnen gerne beim Lunch im Kasino erläutern. Ist Ihnen 12.30 Uhr recht?«
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    Im Blauen Salon
    In Mannheim und Ludwigshafen leben wir unter den Augen der Rheinischen Chemiewerke. Im Jahre 1872, sieben Jahre nach der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik, wurden sie von den Chemikern Professor Demel und Kommerzienrat Entzen gegründet. Seitdem wächst das Werk und wächst und wächst. Heute nimmt es ein Drit-tel der bebauten Fläche Ludwigshafens ein und beschäftigt fast hunderttausend Arbeitnehmer. Zusammen mit dem Wind bestimmen die Produktionsrhythmen der rcw, ob und wo es in der Region nach Chlor, Schwefel oder Ammoniak riecht.
    Das Kasino liegt außerhalb des Werkgeländes und hat seinen eigenen feinen Ruf. Neben dem großen Restaurant für das mittlere Management gibt es für die Direktoren einen eigenen Bereich mit mehreren Salons, die in den Farben gehalten sind, mit deren Synthese Demel und Entzen ihre ersten Erfolge errungen haben. Und eine Bar.
    Da stand ich um eins noch. Man hatte mir schon am Empfang gesagt, daß der Herr Generaldirektor sich leider etwas verspäten würde. Ich bestellte den zweiten Aviateur.
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    »Campari, Grapefruitsaft, Champagner, je ein Drit-tel« – das rothaarige und sommersprossige Mädchen, das heute hinter der Bar aushalf, freute sich, etwas gelernt zu haben.
    »Sie machen das wunderbar«, sagte ich. Sie sah mich mitfühlend an. »Sie müssen auf Herrn Generaldirektor warten?«
    Ich hatte schon schlechter gewartet, in Autos, Hauseingängen, Korridoren, Hotel- und Bahnhofshallen.
    Hier stand ich unter vergoldetem Stuck und einer Gale-rie von Ölportraits, unter denen eines Tages auch Kortens hängen würde.
    »Mein lieber Selb«, kam er auf mich zu. Klein und drahtig, mit wachsamen blauen Augen, bürstig gestutz-tem grauen Haar und der ledernen braunen Haut, die von zuviel Sport in der Sonne kommt. Mit Richard von Weizsäcker, Yul Brynner und Herbert von Karajan in einer Combo könnte er aus dem geswingten Badenwei-ler Marsch einen Welthit machen.
    »Tut mir leid, daß ich zu spät komme. Dir be-
    kommt’s noch, das Rauchen und das Trinken?« Er warf einen zweifelnden Blick auf mein Päckchen Sweet Afton. »Bringen Sie mir ein Apollinaris! – Wie geht es dir?«
    »Gut. Ich mache ein bißchen langsamer, darf ich wohl auch mit meinen achtundsechzig, nehme nicht mehr jeden Auftrag an, und in ein paar Wochen fahre ich in die Ägäis zum Segeln. Und du gibst das Ruder noch nicht aus den Händen?«
    »Ich würde gerne. Aber ein, zwei Jahre dauert es 10
    noch, bis ein anderer mich ersetzen kann. Wir stecken in einer schwierigen Phase.«
    »Muß ich verkaufen?« Ich dachte an meine zehn
    rcw-Aktien im Depot der Badischen Beamtenbank.
    »Nein, mein lieber Selb«, lachte er. »Letztlich sind die schwierigen Phasen für uns stets ein Segen. Aber es gibt trotzdem Dinge, die uns Sorgen machen, lang- und kurzfristig. Wegen eines kurzfristigen Problems wollte ich dich heute sehen und nachher mit Firner zusam-menbringen. Du erinnerst dich an ihn?«
    Ich erinnerte mich gut. Vor ein paar Jahren war Firner Direktor geworden, aber für mich blieb er Kortens alerter Assistent. »Trägt er noch die Harvard-Business-School-Krawatte?«
    Korten antwortete nicht. Er schaute nachdenklich, als überlege er die Einführung der firmeneigenen Krawatte.
    Er nahm meinen Arm. »Laß uns in den Blauen Salon gehen, es ist angerichtet.«
    Der Blaue Salon ist das Beste, was die rcw ihren Gä-
    sten bieten. Ein Jugendstilzimmer mit Tisch und Stühlen von van de Velde, einer Lampe von Mackintosh und an der Wand einer Industrielandschaft von Kokoschka.
    Es waren zwei Gedecke aufgelegt, und als wir uns setzten, brachte der Kellner einen Rohkostsalat.
    »Ich bleibe bei meinem Apollinaris. Für dich habe ich einen Château de Sannes bestellt, du magst ihn doch.
    Und nach dem Salat einen Tafelspitz?«
    Mein Lieblingsgericht. Wie nett von Korten, daran zu denken. Das Fleisch war zart, die Meerrettichsoße ohne lästige
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