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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Tür. Der Junge nahm mir den Ball aus der Hand, sagte »Danke« und rannte ins Haus. Auf dem Türschild erkannte ich den Namen Schmalz. Eine ältere Frau sah mich mißtrauisch an und schloß die Tür. Es war wieder ganz still.
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    Ragoût fin im Ring mit Grünem
    Als ich das Kasino betrat, sprach mich ein kleiner, dünner, blasser, schwarzhaariger Mann an. »Herr Selb?«
    lispelte er, »Schmalz der Name.«
    Meine Einladung, einen Aperitif zu nehmen, lehnte er ab. »Danke, ich trinke keinen Alkohol.«
    »Und wie wär’s mit einem Fruchtsaft?« Ich wollte auf meinen Aviateur nicht verzichten.
    »Um ein Uhr geht die Arbeit weiter, möchte doch darum bitten, gleich … kann Ihnen eh nicht viel berichten.«
    Die Antwort war elliptisch, aber ohne Zischlaute.
    Hatte er gelernt, Wörter mit s und z aus seinem Sprach-schatz zu tilgen?
    Die Dame am Empfang klingelte nach einer Bedienung, und das Mädchen, das neulich an der Direkto-renbar ausgeholfen hatte, brachte uns im ersten Stock im großen Speisesaal an einen Fenstertisch.
    »Sie wissen, womit ich das Essen am liebsten beginne?«
    »Ich will mich gleich drum kümmern«, lächelte sie.
    Beim Oberkellner bestellte Schmalz »ein Ragoût fin im Ring mit Grünem, bitte«. Mir war nach süßsaurem 30
    Schweinefleisch Szechuan. Schmalz guckte mich neidisch an. Auf die Suppe verzichteten wir beide aus un-terschiedlichen Gründen.
    Beim Aviateur bat ich um das Ergebnis der Ermittlungen zu Schneider. Schmalz berichtete überaus präzi-se und unter Vermeidung jeden Zischlauts. Ein un-glückseliger Mensch, dieser Schneider. Nach ziemli-chem Eklat wegen einer Vorschußforderung hatte Schmalz ihn über einige Tage beschattet. Schneider spielte nicht nur in Dürkheim, sondern auch in privaten Hinterzimmern und war entsprechend verstrickt. Als er auf Veranlassung seiner Spielgläubiger zusammengeschlagen wurde, ging Schmalz dazwischen und brachte den nicht ernsthaft verletzten, aber völlig verstörten Schneider nach Hause. Es war der rechte Zeitpunkt für ein Gespräch zwischen Schneider und dessen Vorge-setztem. Man traf ein Arrangement: Der in der Pharma-forschung unverzichtbare Schneider wurde für drei Monate aus dem Verkehr gezogen und in Kur geschickt, die einschlägigen Kreise wurden verpflichtet, Schneider keine Gelegenheit mehr zum Spielen zu geben. Der Werkschutz der rcw ließ den starken Arm spielen, den er im Mannheimer und Ludwigshafener Milieu hat.
    »War vor drei Jahren, und danach war der Mann
    nicht mehr auffällig. Aber nach meiner Meinung bleibt der eine Bombe, die weitertickt.«
    Das Essen war ausgezeichnet. Schmalz aß hastig. Er ließ kein Reiskorn auf dem Teller übrig – Pedanterie des Magenneurotikers. Ich fragte, was seiner Meinung nach 31
    mit dem passieren sollte, der hinter dem Computer-schlamassel steckte.
    »Werden ihn vor allem mal gründlich befragen. Und dann ihn richtig hinbiegen. Von ihm darf dem Werk keine Gefahr mehr drohen. Vielleicht kann man den Mann gut brauchen, wird wohl ein Talent …«
    Er suchte nach einem zischlautlosen Synonym für
    ›sein‹. Ich bot ihm eine Sweet Afton an.
    »Nehme lieber meine eigenen«, sagte er und holte ei-ne braune Plastikbox mit selbstgestopften Filterzigaret-ten aus der Tasche. »Macht immer meine Frau für mich, nicht mehr wie acht pro Tag.«
    Wenn ich etwas hasse, sind es Selbstgestopfte. Sie liegen auf einer Ebene mit Schrankwänden, festinstallierten Wohnwagen und gehäkelten Kleidchen für das Klo-papier auf der Heckablage des Sonntagsausflugsautos.
    Die Erwähnung der Frau erinnerte mich an die Haus-meisterwohnung mit dem Namensschild ›Schmalz‹.
    »Sie haben einen kleinen Jungen?«
    Er schaute mißtrauisch und gab die Frage mit einem
    »Wie meinen?« zurück. Ich erzählte von meinem Irr-weg durch das alte Werk, von der verwunschenen Stimmung im weinberankten Hof und der Begegnung mit dem kleinen Jungen mit dem bunten Ball. Schmalz entspannte sich und bestätigte, daß in der Hausmei-sterwohnung sein Vater wohnte.
    »Der war auch bei der Truppe, kennt den General noch gut von früher. Nun guckt er im alten Werk nach dem Rechten. Am Morgen bringen wir ihm immer den Jungen, meine Frau arbeitet auch hier im Betrieb.«
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    Ich erfuhr, daß früher viele Werkschutzleute auf dem Gelände gewohnt hatten und Schmalz praktisch dort aufgewachsen war. Er hatte den Wiederaufbau des Werks miterlebt und kannte jeden Winkel. Ich fand die Vorstellung eines Lebens zwischen Raffinerien, Reaktoren,
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