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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Falle fertig sein?«
    »Heute ist Donnerstag. Der Leiter des Rechenzentrums will die Sache am Wochenende selbst vorbereiten, und am Montagmorgen sollen die Benutzer informiert werden.«
    Die Aussicht, den Fall schon am Montag abschließen zu können, war verlockend, auch wenn es dann nicht mein Erfolg wäre. Aber in einer Welt der Diplom-Sicherheitswarte hat meinesgleichen sowieso nichts verloren.
    26
    Ich wollte nicht gleich aufgeben und fragte: »In meinem Dossier habe ich eine Liste mit ungefähr hundert Verdächtigen gefunden. Hat der Werkschutz zum einen oder anderen noch Erkenntnisse, die nicht in den Bericht aufgenommen worden sind?«
    »Gut, daß Sie darauf zu sprechen kommen, Herr
    Selb«, sagte Danckelmann. Er stemmte sich von seinem Schreibtischsessel hoch, und als er auf mich zukam, sah ich, daß er hinkte. Er bemerkte meinen Blick. »Workuta.
    1945 kam ich mit achtzehn in russische Gefangenschaft, 1953 zurück. Ohne den Alten aus Rhöndorf wär ich jetzt noch dort. Aber zu Ihrer Frage. In der Tat liegen uns über einige Verdächtige auch Erkenntnisse vor, die wir nicht in den Bericht nehmen wollten. Es gibt ein paar Politische, über die uns der Verfassungsschutz im Wege der Amtshilfe auf dem laufenden hält. Und ein paar mit Schwierigkeiten im Privatleben, Frauen, Schulden und so.«
    Er nannte mir elf Namen. Als wir die durchgingen, merkte ich rasch, daß bei den sogenannten Politischen nur die üblichen Lappalien anlagen: im Studium ein falsches Flugblatt unterzeichnet, für eine falsche Gruppe kandidiert, auf der falschen Demo marschiert. Interessant war mir, daß auch Frau Buchendorff dabei war.
    Zusammen mit anderen Frauen hatte sie sich mit Hand-schellen am Zaun vor dem Haus des Familienministers angekettet.
    »Worum ging es denn damals?« fragte ich Danckelmann.
    »Das hat uns der Verfassungsschutz nicht mitgeteilt.
    27
    Nach der Scheidung von ihrem Mann, der sie wohl in solche Sachen hineingetrieben hat, ist sie nie mehr auffällig geworden. Aber ich sage immer, wer einmal politisch war, bei dem kann’s von heute auf morgen wieder losgehen.«
    Der Interessanteste fand sich auf der Liste der ›Le-bensversager‹, wie Danckelmann sie nannte. Ein Chemiker, Franz Schneider, Mitte Vierzig, mehrfach geschieden und leidenschaftlicher Spieler. Man war auf ihn aufmerksam geworden, weil er beim Lohnbüro zu oft um Abschläge gebeten hatte.
    »Wie sind Sie auf ihn gekommen?« fragte ich.
    »Das ist Standardprozedur. Sobald einer das dritte Mal Vorschuß verlangt, sehen wir ihn uns an.«
    »Und was genau heißt das?«
    »Das kann, wie in diesem Fall, bis zum Beschatten gehen. Wenn Sie wollen, können Sie mit Herrn Schmalz reden, der das damals gemacht hat.«
    Ich ließ Schmalz ausrichten, daß ich ihn um zwölf Uhr zum Lunch im Kasino erwartete. Ich wollte noch sagen, daß ich vor dem Eingang am Ahorn auf ihn warten wür-de, aber Danckelmann winkte ab. »Lassen Sie mal, Schmalz ist einer unserer Besten. Der findet Sie schon.«
    »Auf gute Zusammenarbeit«, sagte Thomas. »Sie
    nehmen mir nicht übel, daß ich ein bißchen empfindlich bin, wenn uns Sicherheitskompetenzen entzogen werden. Und Sie kommen von außen. Aber ich habe mich über das angenehme Gespräch gefreut, und«, er lachte entwaffnend, »unsere Erkenntnisse über Sie sind ausgezeichnet.«
    28
    Beim Verlassen des Backsteingebäudes, in dem der Werkschutz untergebracht war, verlor ich die Orientie-rung. Vielleicht hatte ich die falsche Treppe genommen.
    Ich stand in einem Hof, an dessen Längsseiten Einsatz-fahrzeuge des Werkschutzes geparkt waren, blau lak-kiert, mit dem Firmenlogo auf den Türen, dem silber-nen Benzolring und darin den Buchstaben rcw. Der Eingang an der Stirnseite war als Portal gestaltet, mit zwei Sandsteinsäulen und vier Sandsteinmedaillons, aus denen mich geschwärzt und traurig Aristoteles, Schwarz, Mendelejew und Kekulé ansahen. Anscheinend stand ich vor dem alten Hauptverwaltungsgebäude. Ich verließ den Hof und kam in einen weiteren, dessen Fassa-den ganz von russischem Wein überwachsen waren. Es war seltsam still, meine Schritte auf dem Kopfsteinpflaster hallten überlaut. Die Häuser schienen unbenutzt.
    Als mich etwas im Rücken traf, fuhr ich erschreckt herum. Vor mir doppste ein schreiend bunter Ball, und ein kleiner Junge kam gerannt. Ich nahm den Ball auf und ging dem Jungen entgegen. Jetzt sah ich in der Ecke des Hofs hinter einem Rosenstrauch die Fenster mit Gardi-nen und das Fahrrad neben der offenen
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