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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Vorfällen ließ sich der Tag rekonstruieren, an dem ins System ein-18
    gegriffen wurde, zum Beispiel bei dem Telex. Damit entfallen die an diesem Tag Abwesenden. Dann haben wir bei einem Teil der Terminals über einen gewissen Zeitraum alle Eingaben protokolliert und nichts gefunden. Und schließlich«, er lächelte selbstgefällig, »können wir wohl die Direktoren ausschließen.«
    »Wie viele sind übriggeblieben?« fragte ich.
    »Rund hundert.«
    »Da hab ich ja Jahre zu tun. Und was ist mit Hackern von draußen? Von so was liest man doch.«
    »Das konnten wir in Zusammenarbeit mit der Post ausschließen. Sie sprechen von Jahren – wir sehen auch, daß der Fall nicht einfach ist. Trotzdem drängt die Zeit.
    Das Ganze ist nicht nur lästig; mit allem, was wir an Betriebs- und Produktionsgeheimnissen im Computer haben, ist es gefährlich. Es ist, wie wenn mitten in der Schlacht …« Firner ist Offizier der Reserve.
    »Lassen wir die Schlachten«, unterbrach ich. »Wann wollen Sie den ersten Bericht?«
    »Ich möchte Sie darum bitten, mich ständig auf dem laufenden zu halten. Sie können über die Zeit der Herren vom Werkschutz, vom Datenschutz, vom Rechenzentrum und von der Personalabteilung, deren Berichte Sie im Dossier finden, frei verfügen. Ich muß nicht sagen, daß wir um äußerste Diskretion bitten. Frau Buchendorff, ist der Ausweis für Herrn Selb fertig?« fragte er über die Sprechanlage.
    Sie trat ein und überreichte Firner ein scheckkarten-großes Stück Plastik. Er kam um den Schreibtisch herum.
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    »Wir haben Ihr Farbbild beim Betreten des Gebäudes anfertigen lassen und gleich eingeschweißt«, sagte er stolz. »Mit diesem Ausweis können Sie sich zu jeder Zeit frei auf dem Werkgelände bewegen.« Er heftete mir die Karte mit ihrem wäscheklammerähnlichen Plastik-stummel ans Revers. Es war wie eine Ordensverleihung.
    Fast hätte ich die Hacken zusammengeschlagen.
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    Turbo fängt eine Maus
    Den Abend verbrachte ich über dem Dossier. Ein harter Brocken. Ich versuchte, in den Vorfällen eine Struktur zu erkennen, ein Leitmotiv für die Eingriffe in das System zu finden. Der oder die Täter hatten sich an der Lohnbuchhaltung zu schaffen gemacht. Sie hatten den Chefsekretärinnen, darunter Frau Buchendorff, über Monate fünfhundert Mark zuviel überweisen lassen, den Leichtlohngruppen das Feriengeld verdoppelt und alle Kontonummern von Lohn- und Gehaltsempfängern gelöscht, die mit 13 anfingen. Sie hatten sich in die interne Nachrichtenübermittlung eingemischt, vertrau-liche Mitteilungen der Direktionsebene in die Presseab-teilung geschleust und Jubiläen der Mitarbeiter unterdrückt, die die Abteilungsleiter zum Monatsanfang mitgeteilt bekommen. Das Programm zur Tennisplatzverteilung und -reservierung hatte alle Anfragen über den besonders begehrten Freitag bestätigt, so daß sich eines Freitags im Mai auf den 16 Tennisplätzen 108
    Spieler einfanden. Dazu kam die Rhesusäffchengeschichte. Ich verstand Firners gequältes Lächeln. Der Schaden, ungefähr fünf Millionen, war für ein Unternehmen von der Größe der rcw zu verkraften. Aber 21
    wer immer ihn verursacht hatte, konnte im Management- und Betriebsinformationssystem der rcw spazieren gehen.
    Draußen wurde es dunkel. Ich machte Licht, knipste den Schalter ein paarmal an und aus, erhielt dadurch aber, obwohl es binär war, keinen tieferen Einblick in das Wesen elektronischer Datenverarbeitung. Ich überlegte, ob unter meinen Freunden und Bekannten einer etwas von Computern verstand, und merkte, wie alt ich war. Da war ein Ornithologe, ein Chirurg, ein Schachgroßmeister, der eine und andere Jurist, alles be-tagte Herren, denen der Computer gerade so wie mir ein Buch mit sieben Siegeln war. Ich dachte darüber nach, was für ein Typ von Mensch es ist, der mit Computern umgehen kann und mag, und über den Täter meines Falls – mir war die Vorstellung von nur einem Täter selbstverständlich geworden.
    Verspätete Schulbubenstreiche? Ein Spieler, ein Tüftler, ein Schalk, der die rcw in grandioser Weise auf den Arm nimmt? Oder ein Erpresser, ein kühler Kopf, der mit leichter Hand signalisiert, daß er auch zum großen Schlag fähig ist? Oder eine politische Aktion? Die Öffentlichkeit würde empfindlich reagieren, wenn dieses Ausmaß an Chaos in einem Betrieb, der mit hochgifti-gen Stoffen umgeht, bekannt würde. Aber nein, der politische Aktionist hätte sich andere Vorfälle ausgedacht, und der Erpresser hätte schon
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