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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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war. Gelegentlich malte ich mir die Szene aus, in der ich Herzog gegenüberstand und auspackte.
    Oder würde ich meine Aussage lieber vor Nägelsbach machen?
    Meistens war ich von fatalistischer Gelassenheit und genoß die Tage zwischen den Jahren, bis hin zum Kaffee mit Pflaumen-Mehl-Butter-Klümpchen-Kuchen bei Schmalz junior. Ich mochte den kleinen Manuel. Er versuchte tapfer, Deutsch zu reden, nahm meine morgendliche Anwesenheit im Badezimmer ohne Eifersucht und hoffte unverzagt auf Schnee. Anfangs machten wir unsere Unternehmungen zu dritt, den Besuch im Mär-chenpark auf dem Königstuhl und im Planetarium.
    Dann zogen er und ich alleine los. Er ging genauso gerne ins Kino wie ich. Als wir aus ›Der einzige Zeuge‹
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    kamen, hatten wir beide feuchte Augen. Bei ›Splash‹
    verstand er nicht, warum die Nixe den Typ liebt, obwohl er so gemein zu ihr ist – ich sagte ihm nicht, daß das immer so ist. Im ›Kleinen Rosengarten‹ durchschau-te er sofort, welches Spiel Giovanni und ich spielten, und spielte mit. Danach war ihm kein vernünftiger deutscher Satz mehr beizubringen. Auf dem Heimweg vom Schlittschuhlaufen nahm er meine Hand und sagte:
    »Du immer bei uns, wenn ich wiederkomme?«
    Brigitte und Juan hatten beschlossen, daß Manuel ab nächstem Herbst das Gymnasium in Mannheim besuchen sollte. Würde ich im nächsten Herbst im Gefängnis sein? Und wenn nicht – würden Brigitte und ich zu-sammenbleiben?
    »Ich weiß es noch nicht, Manuel. Aber ins Kino gehen wir jedenfalls zusammen.«
    Die Tage vergingen, ohne daß Korten Schlagzeilen machte, sei’s tot, sei’s vermißt. Es gab Momente, in denen ich mir wünschte, daß die Sache so oder so ein En-de nehme. Dann wieder war ich dankbar für die ge-schenkte Zeit. Am dritten Weihnachtsfeiertag rief ich Philipp an. Er beschwerte sich, daß er meinen Weihnachtsbaum dieses Jahr noch nicht zu sehen bekommen hatte. »Und wo warst du überhaupt die letzten Tage?«
    Da bekam ich die Idee mit dem Fest an Silvester. »Ich habe was zu feiern«, sagte ich. »Komm an Silvester zu mir, ich mache ein Fest.«
    »Soll ich dir was handliches Taiwanesisches mitbringen?«
    »Nicht nötig, Brigitte ist wieder da.«
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    »Daher der Name Opodeldok! Aber mir darf ich was mitbringen auf dein Fest?«
    Brigitte hatte das Telephongespräch mitbekommen.
    »Fest? Was für ein Fest?«
    »Wir feiern Silvester mit deinen und meinen Freunden. Wen magst du denn einladen?«
    Am Samstag nachmittag ging ich bei Judith vorbei.
    Ich fand sie beim Packen. Sie wollte am Sonntag nach Locarno fahren, Tyberg sie an Silvester in Ascona in die Tessiner Gesellschaft einführen. »Schön, daß du vorbeikommst, Gerd, aber ich bin furchtbar pressiert.
    Ist es wichtig, hat es nicht Zeit? Ich bin Ende Januar wieder hier.« Sie zeigte auf offene und gepackte Koffer, zwei große Umzugskartons und ein wirres Durcheinander von Kleidern. Ich erkannte die Seidenbluse wieder, die sie getragen hatte, als sie mich aus Kortens Bü-
    ro zu Firner geführt hatte. Der Knopf fehlte noch immer. »Ich kann dir jetzt die Wahrheit über Mischkeys Tod sagen.«
    Sie setzte sich auf einen Koffer und zündete sich eine Zigarette an. »Ja?«
    Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen. Als ich endete, fragte sie: »Und was soll jetzt mit Korten passieren?«
    Die Frage hatte ich gefürchtet und mir deswegen lange überlegt, ob ich nicht erst dann zu Judith gehen sollte, wenn Kortens Tod öffentlich bekannt wäre. Aber vom Mord an Korten durfte ich mein Handeln nicht bestimmen lassen, und ohne ihn gab es keinen Grund, die Lösung des Falles länger zu verschweigen. »Ich 354
    werde versuchen, Korten zu stellen. Er kommt Anfang Januar aus der Bretagne zurück.«
    »Ach Gerd, du glaubst doch nicht, daß Korten im Gespräch zusammenbricht und bekennt?«
    »Glaubst du, daß die Polizei ihn überführt?« Es wi-derstrebte mir, die Diskussion darüber zu führen, was mit Korten zu geschehen habe.
    Judith nahm noch eine Zigarette aus dem Päckchen und rollte sie zwischen den Fingerkuppen beider Hän-de. Sie sah traurig aus, ausgelaugt vom Hin und Her um den Mord an Peter, auch genervt, als wolle sie das alles endlich, endlich hinter sich lassen. »Ich werde mit Tyberg reden. Du hast doch nichts dagegen?«
    In dieser Nacht träumte ich, daß Herzog mich verhörte. »Warum sind Sie nicht zur Polizei gekommen?«
    »Was hätte die Polizei denn machen können?«
    »Oh, wir haben heute beeindruckende Möglichkeiten.
    Kommen Sie, ich zeig
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