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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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sie Ihnen.« Durch lange Korridore über viele Treppen kamen wir in einen Raum, wie ich ihn aus mittelalterlichen Schlössern kannte, mit Zangen, Eisen, Masken, Ketten, Peitschen, Riemen und Nadeln.
    Im Kamin brannte ein Höllenfeuer. Herzog zeigte auf das Streckbett. »Hier hätten wir Korten schon zum Reden gebracht. Warum hatten Sie auch kein Vertrauen zur Polizei? Jetzt müssen Sie selber hier drauf.« Ich wehrte mich nicht und wurde festgeschnallt. Als ich mich nicht mehr bewegen konnte, stieg die Panik in mir hoch. Ich muß geschrien haben, ehe ich aufwachte. Brigitte hatte das Nachttischlämpchen angeschaltet und wandte sich mir besorgt zu.
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    »Ist doch alles gut, Gerd. Niemand tut dir was.«
    Ich strampelte mich aus den Laken, die mich beeng-ten. »Ach Gott, war das ein Traum.«
    »Erzähl ihn, dann geht’s dir besser.«
    Ich wollte nicht, und sie war gekränkt. »Ich merk doch, Gerd, daß die ganze Zeit schon irgend etwas nicht stimmt mit dir. Manchmal bist du gar nicht da.«
    Ich kuschelte mich in ihre Arme. »Es geht schon vorbei, Brigitte. Es hat nichts mit dir zu tun. Hab ein bißchen Geduld mit einem alten Mann.«
    Erst an Silvester berichteten die Medien über Kortens Tod. Ein tragischer Unfall hatte ihn in seinem Ferien-domizil in der Bretagne am Morgen des Heiligen Abends bei einem Spaziergang über die Klippen ins Meer stürzen lassen. Die Informationen, die bei Presse und Rundfunk zu Kortens siebzigstem Geburtstag zu-sammengetragen worden waren, gingen jetzt in die Nachrufe und Elogen ein. Mit Korten endete eine Epoche, die Epoche der großen Männer des Wiederaufbaus.
    Die Beerdigung sollte Anfang Januar stattfinden, in Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Bundeskanz-lers, des Bundeswirtschaftsministers sowie des vollzähligen rheinlandpfälzischen Kabinetts. Seinem Sohn konnte für seine Karriere wenig Besseres passieren. Ich würde als Schwager eingeladen werden, aber nicht hin-gehen. Ich würde auch seiner Frau Helga nicht kondo-lieren.
    Ich neidete ihm seinen Ruhm nicht. Ich verzieh ihm auch nicht. Morden heißt, nicht verzeihen müssen.
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    Es tut mir leid, Herr Selb
    Babs, Röschen und Georg kamen um sieben. Brigitte und ich hatten gerade die Festvorbereitungen abgeschlossen, die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet und saßen mit Manuel auf dem Sofa.
    »Das ist sie also!« Babs sah Brigitte neugierig und wohlwollend an und gab ihr einen Kuß.
    »Alle Achtung, Onkel Gerd«, sagte Röschen. »Und der Weihnachtsbaum ist echt cool.«
    Ich gab ihnen ihre Geschenke. »Aber Gerd«, sagte Babs vorwurfsvoll, »wir hatten doch ausgemacht, uns dieses Jahr nichts zu schenken«, und holte ihr Päckchen raus. »Das ist von uns dreien.« Babs und Röschen hatten einen dunkelroten Pullover gestrickt, in den Georg an der richtigen Stelle einen elektrischen Schaltkreis mit acht herzförmig angeordneten Lämpchen integriert hatte. Als ich den Pullover überzog, begannen die Lämpchen im Rhythmus meines Herzschlags zu blinken.
    Dann kamen Herr und Frau Nägelsbach. Er trug einen schwarzen Anzug, steifen Stehkragen und Fliege, auf der Nase einen Kneifer und war Karl Kraus. Sie hatte ein Finde-siècle-Kleid an. »Frau Gabler?« be-357
    grüßte ich vorsichtig. Sie machte einen Knicks und ge-sellte sich zu den Frauen. Er betrachtete mißbilligend den Weihnachtsbaum. »Bürgerlichkeit, die sich nicht mehr ernst nehmen und doch nicht aus ihrer Haut kann …«
    Die Klingel stand nicht still. Eberhard kam mit einem kleinen Köfferchen. »Ich habe ein paar Zauberkunst-stücke vorbereitet.« Philipp brachte Füruzan mit, eine rassige, üppige türkische Krankenschwester. »Fürzchen tanzt Bauch!« Hadwig, eine Freundin von Brigitte, hatte Jan dabei, ihren vierzehnjährigen Sohn, der sogleich Manuel herumkommandierte.
    Alles drängte sich in der Küche um das kalte Büfett.
    Unbeachtet lief im leeren Wohnzimmer Wencke Myh-res ›Beiß nicht gleich in jeden Apfel‹; Philipp hatte die Hits des Jahres 1966 aufgelegt.
    Mein Arbeitszimmer war leer. Das Telephon klingelte. Ich schloß die Tür hinter mir. Die Fröhlichkeit des Fests drang nur noch gedämpft an mein Ohr. Alle Freunde waren da – wer mochte anrufen?
    »Onkel Gerd?« Es war Tyberg. »Ein gutes neues
    Jahr! Judith hat erzählt, und ich habe die Zeitung gelesen. Es scheint, Sie haben den Fall Korten gelöst.«
    »Hallo, Herr Tyberg. Auch Ihnen alles Gute im neuen Jahr. Werden Sie das Kapitel über den Prozeß schreiben?«
    »Ich zeige es Ihnen,
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