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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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klar, dass das sicherlich zu den Dingen gehörte, die man seinem Chef besser verschwieg.
    »Äh, also nicht immer, als Kind wollte ich natürlich Tierärztin werden, oder Astronautin, na ja, was man als Kind ebenso werden will.«
    Zum Glück schmunzelte mein Chef nur bei diesem ungeschickten Versuch, über meinen Fauxpas hinwegzutäuschen. »Sie können ruhig ehrlich sein, ich bin nicht im Dienst. Um einen Filmklassiker zu zitieren, quid pro quo. Ich habe Philosophie und Medienwissenschaften studiert und nebenbei über die berühmten Jahreshauptversammlungen der Kaninchenzüchter berichtet, von denen es übrigens gar nicht so viele gibt, wie immer behauptet wird. Nicht gerade die typische Sportreporter-Karriere.«
    »Englisch und Französisch auf Lehramt, abgebrochen«, gab ich notgedrungen zu und geriet schon wieder in Bedrängnis. Meinen beruflichen Werdegang konnte man kaum mit einer klassischen Karriereleiter vergleichen. Eher mit einem verzweifelten Hangeln von einem Rettungsseil zum nächsten. Schon der Einstieg in den Journalismus war reiner Zufall, denn dass ich nach meinem abgebrochenen Studium überhaupt bei einem Kölner Kulturmagazin gelandet war, hatte ich einzig und allein der Tatsache zu verdanken, dass ich mir an diesem schicksalhaften Abend in der Kneipe den Herausgeber dieses ambitionierten Blattes geangelt hatte. Genausogut hätte er ein Meeresbiologe sein können, dann würde ich jetzt vielleicht in der Nordsee herumtauchen und Wasserproben entnehmen.
    »… na ja, und dann haben sich durch einen zufälligen Kontakt überraschend ein paar Türen geöffnet.«
    Herr Jost verkniff sich einen Kommentar und fuhr fort:
    »Ich habe in der Schule das Sportabzeichen nicht geschafft.«
    Allmählich machte mir das Spiel Spaß, und ich überlegte, womit ich das toppen könnte.
    »Ich habe mir selbst ein ärztliches Attest geschrieben, das mich ein halbes Jahr vom Sportunterricht befreite.«
    Ihm fiel kein Konter mehr ein. Ich hatte gewonnen und war ganz offensichtlich in seinem Ansehen gestiegen. Er lächelte mich an, und ich merkte plötzlich, dass ich schon fast zehn Minuten nicht mehr an Tims Seitensprung gedacht hatte. Leider fing in diesem Moment der Film an, dabei hatte ich jetzt sogar eher Lust, unsere Unterhaltung fortzusetzen. Aber das wäre wohl etwas unhöflich gegenüber den wenigen anderen Besuchern im Kino gewesen. Stattdessen stotterte Hugh Grant auf der Leinwand seiner neuen Bekanntschaft etwas vor, die wiederum ihrer letzten Liebschaft hinterhertrauerte, und ich war im dunklen Kinosaal wieder mit mir und meinem Beziehungsproblem allein.
    Ich hätte Tim gar nicht erst mitfahren lassen dürfen. Verdammte Klassenfahrten. Dabei wusste doch jeder Siebtklässler, dass sie nur eine Erfindung gelangweilter Lehrerinnen und Lehrer waren, damit sie endlich mit ihren Kollegen ins Bett springen konnten. Angeregt von zu viel Wein, rustikaler Jugendherbergsatmosphäre, Erinnerungen an die eigenen Klassenfahrten. Tim hätte niemals mit nach Paris fahren dürfen. Zumal er noch nicht einmal Französisch sprach. Sein Englisch war schon kaum zu verstehen, wieso war ich also so blauäugig an die Sache herangegangen? Die Antwort lag auf der Hand: weil Tim eben nicht zu der Sorte Lehrer im Kollegium gehörte, die bei der erstbesten Gelegenheit mit der Französischlehrerin ins Bett gingen. Weil Tim mir noch nie Anlass zur Eifersucht gegeben hatte. Weil Tim treu war, mich liebte, zu mir gehörte. Was also hatte dieser Seitensprung zu bedeuten? Warum hatte Tim das getan?
    Plötzlich war dieses beklemmende Gefühl in der Magengegend wieder da. Breitete sich in alle Richtungen meines Körpers aus, bis mir ungewollt ein lauter Seufzer entfuhr.
    »Alles in Ordnung?«, flüsterte Herr Jost.
    »Ja«, erwiderte ich. Aber als die spärlichen Zuschauer im Saal in Gelächter ausbrachen und selbst mein Chef zum dritten Mal über den gleichen Witz lachen musste, wusste ich, dass ich im falschen Film war. Nein, Kino eignete sich ganz und gar nicht, um sich von Beziehungsproblemen abzulenken. Erst recht nicht, wenn man in einer Beziehungskomödie saß.
    Ich entschuldigte mich kurz bei meinem Chef, ohne eine weitere Erklärung abzugeben. Dann ergriff ich zum zweiten Mal die Flucht aus dem Kinosaal.
    Dieses Mal mit mehr Erfolg. Zumindest hatte ich das Kino schon hinter mir gelassen und das angrenzende Fitnesscenter erreicht, als Herr Jost mich einholte.
    »Ich bin ein Idiot«, rief er mir zu.
    Ich atmete tief durch und bemühte mich,
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