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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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Küchenhocker abstellte. Keine Entschuldigung oder Erklärung, die über den ersten abschreckenden Eindruck der Wohnung hinweghelfen sollte. Schließlich hatte er mir einen Rotwein vor dem Fernseher versprochen. Und dafür waren alle Utensilien vorhanden.
    Wir stießen an, und mein Chef ließ es gar nicht erst zu dem peinlichen Moment kommen, der nach dem ersten Schluck in der Regel entstand. Er schaltete den Fernseher an. Dann reichte er mir die Fernbedienung. »Sie haben die Probleme. Sie entscheiden über das Programm.«
    Lachend fing ich an, durch die Sender zu zappen.
    Nachdem wir die ersten dreiunddreißig hinter uns hatten, hatten wir unsere Weingläser bereits geleert und noch immer nichts Geeignetes gefunden.
    »Tut mir leid, ich würde Ihnen ja gerne einen Filmabend anbieten, aber meine DVDs sind irgendwo da drin. Zusammen mit dem DVD-Player.«
    Er deutete entschuldigend auf die meterhohe Kartonwand im Eingangsbereich.
    »Wie lange sind Sie jetzt eigentlich schon in Köln?«
    Er winkte ab, während er uns nachschenkte.
    »Ja, ja, ich weiß. Aber ich habe längst aufgehört, Zeit in den herkömmlichen Kategorien zu messen. Wochen, Monate, was bedeutet das schon in unserem Job. Ich rechne nur noch in Sommer- und Winterpausen der Bundesliga. Vorausgesetzt es steht keine WM, EM oder Olympiade an.«
    »Okay, dann hatten Sie aber trotzdem eine ganze Winterpause lang Zeit, um sich einzurichten.«
    Er war letztes Jahr im Herbst gekommen, als Udo ganz überraschend seinen Abschied genommen hatte. Aus familiären Gründen, was jeder von uns nachvollziehen konnte. Udo hatte drei Kinder, zwei Hunde, eine Ex- und eine schwangere Frau. Hannes Jost war der Wunschkandidat unseres Chefredakteurs gewesen. Aber keiner hatte damit gerechnet, dass er den Job tatsächlich annehmen würde. Im Gegenteil, viele meiner Kollegen hatten sich selbst Hoffnungen auf den Posten gemacht. Ich dagegen war realistisch genug gewesen, um mir als einzige Frau in der Sportredaktion keine Chancen darauf auszurechnen. Deswegen konnte ich Herrn Jost auch relativ unvoreingenommen begegnen, während meine Kollegen an ihrem Neid noch immer zu knabbern hatten.
    »Sie sind kurz vor der Winterpause gekommen«, wiederholte ich noch mal. »Also hatten Sie einen ganzen Monat, um die Kartons auszupacken.«
    »Glauben Sie mir, ohne Winterpause säßen wir jetzt auf dem Boden und würden die weiße Wand anstarren.«
    »Wie bitte, Sie haben ein Sofa und einen popeligen Fernseher aufgebaut? Das ist alles?«
    »Nicht ganz. Ich habe mein komplettes Schlafzimmer eingerichtet, aber ich würde vermutlich wieder die falschen Signale aussenden, wenn ich Ihnen das jetzt zeige.«
    »Ja, allerdings.«
    Ich schüttelte lachend den Kopf und nahm einen Schluck aus dem Weinglas.
    »Und seit wie vielen Winterpausen sind Sie inzwischen beim Tagesblatt?«
    »Vier. Nein, Moment …« Ich rechnete nach und erschrak. Waren es jetzt sogar schon … »Fünf, glaube ich, ja, letzten Winter waren es fünf. O Gott, ich mache diesen Job schon fast fünfeinhalb Jahre.«
    »Nicht schlecht für eine, die nie Sportjournalistin werden wollte.«
    »Allerdings. Es sollte eigentlich nur eine Zwischenstation sein. Unglaublich. Kai ist schon drei geworden, dabei weiß ich noch, wie ich mich hochschwanger auf die Tribüne quetschen musste. Auf schwangere Sportjournalistinnen ist dieser Arbeitsplatz eindeutig nicht ausgerichtet.«
    »Kai ist also Ihr Sohn?«, fragte Hannes interessiert. Ich nickte und wünschte mir, ich hätte das Thema nicht angeschnitten. Bei dem Gedanken an Kai lag mir Tims Geständnis von vorhin noch einmal doppelt so schwer auf der Seele. Kai verließ sich auf uns. Darauf, dass wir zusammenblieben, für ihn da waren. Wir hatten eine Verantwortung ihm gegenüber. Warum setzte Tim das alles so leichtfertig aufs Spiel?
    »Ich habe Angst, dass ich ihm nicht verzeihen kann«, rutschte es mir ohne Vorankündigung heraus. Tränen stiegen mir in die Augen. Natürlich wusste ich, dass so etwas mal passieren konnte. Dass kein Mensch sein Leben lang treu sein kann. Trotzdem bekam ich diesen Gedanken einfach nicht aus dem Kopf.
    »Was ist, wenn ich ihm nicht verzeihen kann?«, fragte ich meinen Chef jetzt direkt, dabei war mir selbst klar, dass es Blödsinn war, ausgerechnet ihn um Rat zu fragen. Von seinem fehlenden Taktgefühl mal abgesehen, wusste er schließlich noch nicht mal, von wem ich sprach und was passiert war. Aber die Sorge um Kai und die möglichen Konsequenzen von Tims
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