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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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gesehen?«
    »Zweimal. Zugegeben, so gut ist er auch wieder nicht. Aber den französischen Film habe ich schon dreimal gesehen.«
    »Dreimal?! Ähm, haben Sie noch keine Wohnung in Köln gefunden, oder …?«
    »Doch, doch«, lachte er. »Gleich hier in der Nähe. Aber im Kino kann ich nach der Arbeit einfach am besten abschalten.«
    »Verstehe. Sie gehen also jeden Abend ins Kino?«
    »Nicht jeden. Ich bin schließlich kein Freak.« Er grinste mich an und wusste, dass ich ihn genau dafür hielt. Zusammen mit dem Rest unserer Redaktion, die ihn bereits als pedantischen Workaholic abgestempelt hatte. Er war morgens immer als Erster da und verließ die Redaktion als Letzter. Er schaffte es, neben seiner Cheftätigkeit täglich noch ein bis zwei gut recherchierte Artikel zum Sportteil beizutragen und hatte eine wöchentliche Kolumne im Kommentarteil. Er wusste alles und kannte jeden. Er las, wenn er nicht schrieb, oder besprach, wenn er weder las noch schrieb. Ich hatte ihn nie in der Kantine zur Mittagspause angetroffen und ihn höchstens mal bei einem Kaffee und Brötchen in seinem Büro erwischt, während er Artikel redigierte, schrieb oder las. Und wenn andere Leute nach sechzehn Stunden Arbeit geschafft ins Bett fielen, ging er ins Kino und schaute sich dreimal hintereinander denselben Film an. Doch, ja, er war eindeutig das, was man gemeinhin als Freak bezeichnen konnte. Anscheinend hatte er meine Gedanken gelesen, denn er fühlte sich genötigt, eine Erklärung abzugeben.
    »Also gut, wenn Sie mich nicht verraten, vertraue ich Ihnen ein Geheimnis an, okay?« Bevor ich einwenden konnte, dass das gegenüber seiner Untergebenen nicht unbedingt ratsam war, fuhr er fort: »Eigentlich müsste ich ungefähr jetzt vom Stepper zur Drückbank wechseln. Und damit mein persönlicher Trainer mich nicht findet, verstecke ich mich im Kino.« Smalltalk mit ihm war wirklich nicht einfach. Ich sah meinen Chef reichlich verwirrt an, und sofort war Herr Jost bereit, mehr über sein ominöses Geheimnis preiszugeben.
    »Ich habe mir vorgenommen, endlich nicht mehr nur über Sport zu berichten, sondern ihn zur Abwechslung auch selbst zu betreiben und einen Jahresvertrag bei dem Fitnesscenter nebenan abgeschlossen. Dann habe ich das Kino dahinter gesehen, und das war es dann, mit meinen guten Vorsätzen.«
    Ich starrte ihn immer noch wie eine komplette Idiotin an, und wenn ich nicht langsam etwas Konstruktives zu unserer Unterhaltung beitrug, musste ich mir vermutlich bald Sorgen um meinen Job machen.
    »Okay, Sie halten mich immer noch für einen Freak«, erriet Herr Jost meine Gedanken, und ich beeilte mich zu sagen:
    »Nein, ich überlege nur, was die größere Tortur ist, eine halbe Stunde Stepper oder dreimal hintereinander ein französischer Film.«
    »Für mich das erstere. Sport ist nicht so mein Ding.«
    Und wieder konnte mein Gesichtsausdruck kein besonders intelligenter sein.
    »Überrascht Sie das?«, fragte er, als wäre er nun seinerseits über meine Reaktion überrascht.
    »Na ja«, stotterte ich. »Ihnen eilt irgendwie ein anderer Ruf voraus.«
    Immerhin sprach ich gerade mit dem hochgelobten neuen Leiter unserer Sportredaktion. Mit dem Mann, der für seine WM-Berichterstattung mit so vielen Preisen überhäuft worden war, dass er es jetzt sogar wagte, aus Berlin direkt in den Kölner FC-Moloch hinabzusteigen. Eine Herausforderung, die er bisher mit Bravour meisterte, obwohl sie schon viele gestandene Fußballexperten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hatte, denn in keiner anderen deutschen Stadt wurde ein Verein von seinen Fans so sehr geliebt und gehasst wie hier. Ich durfte also durchaus annehmen, dass Sport bei ihm mehr hervorrief als Fluchtreflexe ins nächste Kino. Aber Herr Jost wischte seinen guten Ruf mit einer Handbewegung beiseite. »Ich wollte nie Sportredakteur werden, geschweige denn der Chef dieser verrückten Abteilung, sondern Filmkritiker. Insgeheim warte ich immer noch auf einen Anruf von meinem Kollegen beim Feuilleton der Zeit .« Während ich noch überlegte, ob ich dieses Geständnis irgendwie gegen ihn und für eine Gehaltserhöhung verwenden konnte, drehte er den Spieß um: »Und Sie?«
    »Äh, ich? Ich kenne leider keinen bei der Zeit .«
    Er lachte wieder. Gott sei Dank. Ganz so doof fand er unsere Unterhaltung wohl doch nicht. »Nein, ich meine, wollten Sie immer Sportjournalistin werden?«
    »Um Gottes willen, nein!«, platzte es aus mir heraus, und im nächsten Moment war mir
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