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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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Kerl, mit dem ich mich über meine Beziehungsprobleme hinweggetröstet hatte, nie mehr wiedergesehen. Das war etwas komplizierter, wenn dieser Kerl der eigene Chef war.
    Vor allem, wenn man viel zu spät zur Arbeit kam, mitten in die Redaktionssitzung platzte und seinen One-Night-Stand am Morgen danach im Kreis des versammelten Kollegiums wiedersah. Hannes hätte mir einen Spruch oder wenigstens eine kleine ironische Bemerkung über meine Verspätung reindrücken müssen, schon um nicht aufzufallen. Aber entweder, die Meinung seiner Mitarbeiter war ihm vollkommen egal, oder er war einfach nur schlecht im Lügen, denn er nickte mir unangebracht freundlich zu.
    »Ähm, tut … tut mir leid. Ich hab …«, stotterte ich, ohne den Satz zu einem Ende zu bringen.
    »Verschlafen, kein Problem.«
    Ich schaute ihn entsetzt an und hatte das Gefühl, jeder Einzelne in der Redaktion wusste spätestens jetzt Bescheid.
    »Kommt … kommt nicht wieder vor.«
    Hannes wirkte etwas irritiert, als ich zu meinem Platz ging und krampfhaft seinem Blick auswich. Zum Glück waren die wichtigsten Punkte in der Besprechung bereits abgehakt, denn ich wusste bald nicht mehr, wo ich hinschauen sollte, um Hannes nicht angucken zu müssen. Es half trotzdem nichts, denn als alle wieder zurück zu ihren Arbeitsplätzen strömten, rief er mich zu sich.
    Meine Ausweichmanöver waren ohnehin albern. Ich konnte schließlich nicht den ganzen Tag vor ihm weglaufen, geschweige denn den Rest meines Angestelltendaseins in dieser Redaktion. Warum es also nicht gleich hinter sich bringen? Je schneller, desto besser.
    »Morgen.« Ich versuchte, möglichst neutral zu klingen.
    »Guten Morgen. Sie haben es ja eben nicht mitbekommen, aber wir wollen zum Ende der Saison ein großes Feature starten. Eine Woche lang eine Doppelseite, jeder Verein, wo er herkam, wo er am Ende steht, Rückblick, Zukunftsaussichten, Abgänge, Zugänge, die ganze Palette. Suchen Sie sich Ihre Lieblingsvereine aus. Die endgültige Zuteilung ist morgen.«
    Arbeit. Natürlich. Er wollte nur über die Arbeit reden. Er war eben ein Vollprofi. Im Gegensatz zu mir.
    »Klingt gut, ich denke drüber nach.«
    Ich drehte mich erleichtert zur Tür.
    »Ach und …, Frau Schneider?«
    Oder nur ein halber Vollprofi?
    Ich wurde rot. »Ja?«
    »Sind Sie noch an der Trainerkrise dran? Wir sollten da morgen auf jeden Fall nachlegen.«
    »Ach so, ja sicher, du … du … meinst, äh, Sie meinen das … das Interview gestern. Ja, kein Problem. Ich hake da noch mal nach.«
    Während ich noch überlegte, ob es eine allgemein akzeptierte gesellschaftliche Regel gab, die es erlaubte, seinen Chef zu duzen, nachdem man mit ihm geschlafen hatte, sah Hannes mich prüfend an. »Sie machen sich doch keine Gedanken wegen gestern Abend, oder?«
    Zumindest war Herrn Jost eine derartige Regel nicht geläufig. Wir blieben also beim Sie.
    »Nein, überhaupt nicht«, erwiderte ich übereifrig. Das war eine glatte Lüge. Man ging nicht einfach so mit seinem Chef ins Bett und dann zur Tagesordnung über, das musste selbst er wissen. Und wenn ich nicht so viele andere Probleme gehabt hätte, über die ich mir Gedanken machen musste, wäre mein Ausrutscher mit ihm Punkt eins auf der Tagesordnung gewesen. Aber so lächelte ich ihn an, als wäre nichts gewesen.
    Er nickte. »Gut. Das ist gut.«
    »Ja.«
    Wir standen uns etwas unentschlossen gegenüber.
    »Alles klar. Also dann …«, er lächelte mir zu.
    »Ja, genau. Der Artikel, du … du … äh. Sie haben ihn heute Mittag auf Ihrem Schreibtisch. … Ich meine, bildlich gesprochen. Er ist natürlich im Computer, im Netz, äh, also auf dem Server, wie alle anderen Artikel … auch.«
    Ja, das klang souverän. Ich denke, jetzt hatte ich auch meinen Chef davon überzeugt, dass ich mir absolut keine Gedanken mehr über letzte Nacht machte.

Zu viel Paris
    Neun Mailboxnachrichten und fünf SMSe hatte Tim mir hinterlassen. Alle mit dem gleichen Inhalt. »Bitte ruf mich an.« Ich wollte aber nicht am Telefon mit ihm darüber reden. In der Hinsicht war ich altmodisch. Ich wollte es direkt und persönlich, ohne modernes Kommunikationsmittel als Gefühlspuffer. Den Streit, die Tränen, die Versöhnung. Also beeilte ich mich mit der Arbeit und ging in meiner Mittagspause nach Hause, um mit Tim zu reden. Er kam direkt zur Tür gestürmt, als er meinen Schlüssel hörte.
    »Gott sei Dank. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich habe Tina angerufen, deine Mutter, deinen Vater. Ich habe Gott
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