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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag
Autoren: Eleanor Moran
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linkischen Gutmenschen ab, der ich war, sondern ermöglichte es mir, eine Nische für mich zu finden. Diese ist nicht sehr bequem ausgestattet, sondern eher ein schmales, unsicheres Regalbrett, aber ich weiß mich im Gleichgewicht zu halten, und wenn alles gut läuft, liebe ich meine Arbeit. Na ja, irgendwie – ich mag sie. Ich schätze mich unglaublich glücklich, dafür bezahlt zu werden, dass ich mir etwas ausdenke, bin mir allerdings nicht sicher, ob ich mir das auch ausdenken würde, wenn ich die Wahl hätte. In meiner Blenderhandtasche steckt derzeit der skizzenhafte Anfang einer Kurzgeschichte, mit der ich gerne am Wettbewerb einer Zeitschrift teilnehmen würde. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, sie zu Ende zu schreiben – die ersten Sätze habe ich handschriftlich derart oft umgeschrieben, dass ich sie selbst fast kaum mehr entziffern kann.
    Inzwischen ist fast eine Stunde verstrichen, und Mary macht noch immer keine Anstalten, nach Hause zu gehen, trotz ihrer zwei Kinder, die sie daheim von einem Kindermädchen betreuen lässt. Mit ihren perfekt manikürten Nägeln tippt sie auf ihrer Tastatur, die Augen wandern in regelmäßigen Abständen forschend durch den Raum. Mary ist mit Sicherheit schon Mitte vierzig, doch das sieht man ihr nicht an. Teure blonde Strähnchen überdecken diskret jegliches graue Haar, und sie trägt sündhaft teure Haute-Couture-Kleidung, die ebenso zeitlos ist wie ihre Erscheinung.
    Ich betrachte das Bild eines traurig wirkenden Schweinchens auf meinem Bildschirm, das den gehetzten Käufern flehentlich zugrunzt, es doch bitte vor einem Leben in einem zu kleinen Stall zu bewahren. Mary ist in ein Telefongespräch vertieft, was für mich die perfekte Gelegenheit ist abzuhauen. Außer mir ist nur noch Amy da, eine Junior-Werbetexterin, die ein paar Jahre jünger ist als ich und am Schreibtisch hinter mir sitzt. Sie trägt das T-Shirt einer obskuren Indieband, ihre wilde blonde Mähne wird von etwas, das verdächtig nach Bulldog-Klammer aussieht, oben auf dem Kopf zusammengehalten, ihre abgebissenen Fingernägel hat sie mit den Union Jacks lackiert. Dies alles zusammen verleiht ihr den Anstrich einer ungezwungenen Coolness, wie sie im angesagten Hoxton zur Schau getragen wird, doch was ich normalerweise ärgerlich finde, kann ich ihr nicht verübeln, dazu ist sie einfach zu süß. Sie brütet über einer Mappe mit Notizen, aber sie blickt auf, als sie mitbekommt, dass ich aufbrechen will.
    »Gehst du? Ich wollte dich fragen, ob du mit mir gegenüber noch ein Glas Wein trinkst, wenn Mary gegangen ist.«
    Wohl so gegen Mitternacht, überlege ich mit Blick auf unsere Chefin, die mit grimmiger Entschlossenheit auf ihren Bildschirm starrt, unterlasse es allerdings, Amy damit zu deprimieren.
    »Würde ich gern, aber ich muss nach Hause und gehe dann aus.« Was sich idiotisch anhört: Ich sollte gleich ausgehen, doch ich brauche meine Dosis James als Auftrieb für die Nacht.
    »Wir müssen wirklich bald mal einen draufmachen.«
    »Bald«, verspreche ich im Brustton der Überzeugung, obwohl keine von uns mir wirklich glaubt. Und schon bekomme ich Gewissensbisse – ich mag Amy, ich mag sie wirklich, aber ich bin nicht sehr gut in diesen Dingen. Wie sagt man noch mal? Frauen, nehmt euch in Acht vor Frauen. Mein Verstand sagt mir, dass das nicht stimmt, doch in meinem Herzen wohnt noch immer die schleichende Angst, dass was Wahres dran ist.
    »Livvy«, ruft Mary, als ich die Tür aufstoße.
    »Ja?«, sage ich und wirbele herum. Sie hat ihren Anruf beendet und sieht mich forschend eine gefühlte Ewigkeit lang mit kalter Miene an: Es ist zwar dumm, aber mein Herz fängt an zu rasen, und der Türgriff fühlt sich plötzlich feucht an unter meiner Hand.
    »Wir sehen uns morgen«, meint sie und schenkt mir ein Lächeln.
    Unsere Wohnung – links von der U-Bahn-Linie Kennington und oberhalb eines Elektroladens gelegen – ist zweifelsohne heruntergekommen. Nicht shabby chic, sondern nur heruntergekommen, aber auch heimelig, und das ist es, was für mich zählt. Ich bin auch der Meinung, dass eine Person allein kein Zuhause ausmacht, weshalb ich mich, ohne zu murren, an James’ Squashschlägern und den Stapeln meiner zerlesenen Paperbacks vorbeikämpfe, um an den Herd zu gelangen.
    Die mit Fettspritzern überzogene Küchenuhr bewegt sich auf 7:55 Uhr zu, und noch immer ist nichts von ihm zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er jede Sekunde hereinplatzt, ist leider genauso groß wie die, dass
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