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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag
Autoren: Eleanor Moran
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konnte ich Wodka nicht ausstehen – ich trank erst seit wenigen Jahren und fühlte mich eher zu Gin Orange hingezogen, weil der Orangensaft den Geschmack übertönte –, aber ich hatte keine Zeit mehr, ihr zu widersprechen, und selbst wenn ich sie gehabt hätte, hätte ich es doch nicht getan. Wir hatten bereits stillschweigend ein paar Regeln festgelegt, und ich befolgte sie buchstabengetreu. Ich wandte mich unseren Hausgenossen zu, die wie in einem Weitpinkelwettbewerb ernsthaft ihre Abiturnoten verglichen, und wandte mich wieder ab. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und zählte die Minuten bis zu Sallys Rückkehr. Zum Glück war sie schnell, weil sie sich völlig mühelos nach vorne durchgeschummelt hatte.
    »Prost«, sagte sie und stieß mit mir an, ohne auf die schmählich ohne Drinks dastehende größere Gruppe Rücksicht zu nehmen. Ich trank einen Schluck und erwiderte ihr breites, freches Grinsen, während ich die angenehme Wirkung des Wodkas auf meinen Kreislauf genoss. Ich spürte ihn in jeder Zelle, jedem Partikel, als wäre es etwas viel Stärkeres. Und gewissermaßen war es das auch.
    Ich fand es wunderbar, dass Sally mich als ihre beste Freundin auserkor, aber ich hatte keine Ahnung, was sie zu ihrer Wahl bewogen hatte. Es gab Leute, die viel trendbewusster waren, Leute mit mehr Sexappeal, reichere Leute: In meinen von Paranoia beherrschten Momenten machte ich mir Sorgen, dass es einfach nur eine Frage der Nachbarschaft war. Doch ich muss der Gerechtigkeit halber sagen, dass sie mich dies nie so spüren ließ. An den Abenden kam sie zu mir, um mit mir zu fernsehen, dann saß jede von uns in Pyjamahose und Top an einem Ende meines Betts, schlürfte Wein und futterte einen dicken Riegel Galaxy-Schokolade. Manchmal gesellte Lola sich zu uns, was aber häufig dazu führte, dass nicht nur das Bett in der Mitte absackte, sondern auch die Stimmung. Was komisch war, denn zu anderen Zeiten waren wir ein fröhliches Dreiergespann: Wir aßen zusammen im Keller der Bibliothek zu Mittag oder gingen auf einen »Notfallwodka« in den Pub am Ende unserer Straße, bevor wir zurückrannten, um uns East Enders anzuschauen. Ich hätte nicht sagen können, was genau den Unterschied ausmachte – es musste an Lola liegen, überlegte ich, sie konnte mit Sallys Scharfsinn nicht immer mithalten. Ich wollte aber auch nicht genauer hinsehen, um zu erkennen, wer tatsächlich die Fäden zog.
    Sally ging mit mir shoppen und ließ mich Kleider anprobieren, die anzuziehen ich im Traum nicht für möglich gehalten hätte, und überzeugte mich dann, wie toll ich darin aussah. Nicht dass ich zu Hause nicht auch gute Freundinnen gehabt hätte, doch das hier war eine gänzlich neue Erfahrung, von einer tiefgreifenden Intensität, die ich gar nicht hätte in Worte fassen können. Ein Grund dafür waren unsere nebeneinanderliegenden Zimmer, aber selbst Jules und ich waren uns nie so nah gewesen, vielleicht weil ich in jenem Stadium wohl eher eine Nervensäge als eine Vertraute war. Ich genoss es, einen Menschen zu haben, der mir mehr gehörte als allen anderen – bis jetzt hatte ich noch keinen ernstzunehmenden Freund gehabt und zog vermutlich aus meiner Freundschaft zu Sally eine vergleichbare Intimität ohne all das, was einem sonst Angst machte. Ich war nämlich, wen überrascht es, noch Jungfrau.
    Und wen überrascht es, dass Sally keine mehr war. Im Unterschied zu mir hatte sie sich ein Jahr Auszeit genehmigt und war zum Entsetzen ihrer Eltern mit einem älteren Mann zusammengezogen, den sie in Barcelona kennengelernt hatte. Die Beziehung schien sehr leidenschaftlich und intensiv gewesen zu sein, und ihr Sexleben war für eine Vorstadt-Unschuld wie mich unvorstellbar. Sie ging auf scherzhafte Weise ins Detail, und ich versuchte wie eine Frau von Welt lachend mitzuhalten, wobei ich immer hoffte, sie würde bei den Jungs, die ich erwähnte, nicht zu genau nachhaken, denn von denen hatte keiner mehr erlaubt bekommen als ein bisschen Rumfummeln und Grapschen, und das meist auch nur durch ein Poloshirt hindurch.
    Natürlich hatte ich mich insgeheim für James aufgehoben und verlor mich in meinen unmöglichen Fantasien, dass er an der Tür rüttelte und mich um Verzeihung bat, nicht schon viel eher erkannt zu haben, dass wir füreinander bestimmt waren. Ich wollte Sally nicht erzählen, wie viel Energie ich darauf verschwendet hatte – noch immer verschwendete: Sie war lustig, aber ihre Scherze konnten piksen und auf eine Weise
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