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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag
Autoren: Eleanor Moran
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plötzlich aufgefordert, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Ein Mädchen wie sie würde nicht lange abwarten – entweder ging ich gleich auf ihr Freundschaftsangebot ein, oder sie zog sich zurück.
    Dad stellte meine Koffer in mein Wohnklo von einem Zimmer, und wir verweilten dort alle einen Moment lang.
    »Nettes Mädchen«, sagte er, und ich wartete auf den unvermeidlichen Nachsatz. »Wenn auch ziemlich schrill.«
    »Ich mag sie«, sagte ich abwehrend.
    »Sie ist ein Energiebündel, aber das ist genau das Richtige. Livvy muss hier richtig eintauchen, alles mitnehmen.«
    Mums Kommentar gab den Ausschlag. Gleich darauf umarmte ich beide zum Abschied, doch ich brachte es nicht über mich, dem Volvo hinterherzuschauen, als dieser scharf nach links abbog. Mein Blick wanderte hoch zu meinem unscheinbaren neuen Zuhause, wo ich Sally entdeckte, die alles vom Fenster aus verfolgt hatte und deren blauen Augen nichts entging.
    Ich kann nicht sagen, dass meine Angst damit verschwunden war, sie war sogar noch größer geworden, aber wenigstens wusste ich, dass ich am richtigen Ort war. Jedenfalls dachte ich es zu sein.
    Sally hielt Wort. Eine Stunde später klopfte sie kurz an und platzte gleich darauf durch meine Tür, um mit einem Blick das Zimmer zu erfassen. Es gab nicht viel zu sehen – bis jetzt hatte meine glanzvolle Universitätskarriere sich darauf beschränkt, meine Klamotten aus dem Koffer zu räumen und in den Schrank zu hängen und meine Zahnbürste und die Toilettenartikel auf dem schmalen Regal über dem grauen, fleckigen Waschbecken zu platzieren – dies alles zum Soundtrack von Carole Kings Tapestry . Das war damals mein Lieblingsalbum, wohl weil ich mich mit dem seelenvollen Mädchen, das einen in Gesellschaft einer Katze wehmütig vom Cover ansah, mehr als identifizierte.
    »Was ist das denn für ein Scheiß?«, fragte Sally lachend und wackelte mit ihrem Kopf zur Musik. Es lief gerade You’ve Got a Friend , jedenfalls so lange, bis ich durch den Raum eilte und meine Stereoanlage ausschaltete. » Tapestry «, sagte ich ein wenig überheblich. »Das war eins der meistverkauften Alben in den Siebzigern.«
    »Das ist ja alles schön und gut, aber da wartet ein Wodka Tonic mit deinem Namen darauf.« Und nach einer Pause: »Ich weiß, das klingt jetzt blöd, aber wie heißt du noch mal?«
    »Olivia. Livvy.«
    »Was denn nun? Nein, lass gut sein, ich kann dich nicht Olivia nennen. O-liv-ia«, wiederholte sie mit gekünstelt vornehmer Stimme. »Nein, definitiv Livvy.«
    In mir sträubte sich etwas: Es war doch gewiss mein Vorrecht, ihr die Erlaubnis zu erteilen, meinen Kosenamen zu benutzen, doch ich ließ es ihr durchgehen.
    »Welches Fach studierst du?«, fragte ich.
    »Anglistik.«
    »Ich auch.«
    »Dann sind wir beide Schöngeister …«, begann sie. »Wie ich gehört habe, haben wir nur an die drei Tutorien pro Woche, den Rest der Zeit nähern wir uns der Literatur mit den York Notes -Materialien.«
    »Eben.«
    Eben nicht. Ich liebte die englische Sprache, liebte die Bücher und schrieb gern. Im vergangenen Jahr war ein winziger Artikel von mir in einer Zeitung veröffentlicht worden, und ich wäre beinahe geplatzt vor Stolz.
    »Nun komm schon«, sagte sie und wedelte ungeduldig mit meinem Parka, ehe sie sich auf die Treppe zubewegte.
    Ein paar unserer neuen Hausgenossen warteten bereits am Fuß der Treppe auf uns: Es gab einen Phil, ein pickeliger angehender Ingenieur, ein Mädchen namens Catherine und Lola, eine pummelige lächelnde Geschichtsstudentin, die mich an meine Freundinnen von zu Hause erinnerte. Es kamen noch ein paar mehr Leute, und ich versuchte mir alle Namen zu merken, aber eigentlich klammerte ich mich nur an Sally. Wir gingen als Gruppe los, doch sie hakte sich entschlossen bei mir unter und schmiedete uns auf diese Weise zusammen.
    Als wir in der schmuddeligen, neonbeleuchteten Studentenbar eintrafen, sah sie sich mit verächtlichem Blick um, und plötzlich nahm ich die Welt durch ihre Augen wahr, obwohl unsere beiden Welten erst vor weniger als zwei Stunden aufeinandergeprallt waren. Alle sahen so jung und unbedarft aus, die Nervosität war mit Händen zu greifen, und im Kampf herauszufinden, wer sie einmal sein würden und welches Territorium sie besetzen sollten, bewegten sie ihre Körper steif.
    »Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber ich schätze, das hier schreit nach einem doppelten Wodka«, sagte sie. »Bin gleich wieder da, rühr dich nicht vom Fleck.«
    Eigentlich
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