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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag
Autoren: Eleanor Moran
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und schmachtete ihn lieber weiter aus der Ferne an – ein Blickwinkel, den ich nur zu gut kannte.
    Ich hatte das Gefühl, dass unsere nächtlichen Klatschrunden in der folgenden Woche ein wenig seltener stattfanden, hoffte aber, dass ich mir das nur einbildete. Ich lenkte mich ab, indem ich an Matt dachte, wobei ich gleichermaßen froh und entsetzt war, dass meine auf winzigsten Vorwänden aufgebaute Fantasiebeziehung über James hinausreichte. Als unser Tutorium das nächste Mal stattfand, war es mir fast peinlich, ihn anzusprechen, aus Sorge, sein Röntgenblick könnte den Inhalt meines verwirrten Gehirns durchdringen.
    »Eine merkwürdige Wahl«, meinte er unter Bezugnahme auf das halberotische Gedicht von E. E. Cummings, das Dr. Roberts eine Woche nach den Shakespeare-Sonetten verteilt hatte.
    »Das ist es mit Sicherheit«, erwiderte ich hochtrabend und kehrte umgehend auf meinen Platz neben Sally zurück. Ich verfluchte mich dafür, so kurz angebunden geantwortet zu haben.
    Sally hatte alles mitbekommen und grinste mich boshaft an, als ich mich setzte.
    »Guter Schachzug, findest du nicht?«, sagte ich.
    »Du bist eine Göttin, was soll ich dazu sagen?«, erwiderte Sally, und wir versuchten unser Gekicher zu unterdrücken. Von einem Moment auf den anderen ärgerte ich mich gar nicht mehr, meine Chance nicht genutzt zu haben. Ich genoss es, dass durch die Freundschaft mit Sally alles gar nicht so schlimm war. Selbst wenn mir etwas noch so peinlich war oder mich etwas betrübte – wenn ich mich mit ihr darüber austauschte, wurde es plötzlich zu einer schönen Erfahrung, und die negativen Assoziationen verflogen. Natürlich dachte ich dabei nicht gern an die Augenblicke, wenn unsere kleine Seifenblase von innen bedroht und Sally zu meiner Feindin wurde.
    »Findest du es denn wirklich eine merkwürdige Wahl?«, hakte sie wenige Sekunden später nach.
    »Ja doch, ein wenig schon.«
    Sie kicherte und richtete ihren Blick auf Dr. Roberts.
    »Mein Fehler. Ich habe das gestern Nacht ausgesucht, als wir zusammen im Bett waren.«
    Ich hielt die Luft an, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen, weil ich spürte, dass sie mich musternd ansah. Es war wie bei einer Talentschau, als bliebe mir nur ein einziger Augenblick, ihr zu beweisen, dass ich es wert war, eine Runde weiterzukommen.
    »Du traust dich was.«
    Sie sagte nichts darauf, reagierte gar nicht, sondern richtete ihre von Kajal umrandeten Augen wieder auf ihr aufgeschlagenes Buch. Sie wusste, dass ich eine Schwindlerin war. Und ich wusste es auch, was noch schlimmer war.

Kapitel 2

    Drei Wochen waren vergangen, seit James mir die Nachricht überbracht hatte, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich weiß noch, wie ich mein Telefon vom Ohr löste und mich neben einem Baum heftig übergeben musste. Dann taumelte ich nach Hause, wobei ich den ganzen Weg mit James übers Handy sprach. Als er mich an der Tür erwartete, wäre ich fast in seinen Armen zusammengebrochen.
    Lola hatte übers Festnetz angerufen, wohl wissend, dass man eine solche Bombe nicht platzen lassen konnte, während man gerade unterwegs oder beschäftigt war. Sally hatte in New York einen Autounfall gehabt und war durch den Aufprall auf der Stelle getötet worden. Die Demütigung, über andere zu erfahren, was sich in Sallys Leben so tat, war mir schon immer zuwider gewesen – ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich von der Geburt ihrer Tochter erfuhr, ohne überhaupt zu wissen, dass sie schwanger gewesen war. Es war unerträglich: »Oh, sie hat ein Mädchen bekommen«, sagte ich, als hätte ich nur auf diese letzte Enthüllung gewartet. Nachdem sie nun tot war, brauchte ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen, dass sie mich in ihr Leben nicht mehr einbezogen hatte und mich dadurch so sehr kränkte. Und erst jetzt, seit ich wusste, dass sie von uns gegangen war, wurde mir klar, dass mich die Frage, ob uns das Schicksal eines Tages wieder zusammenführen würde, wohl doch beschäftigt hatte. Es war eine reine Fantasievorstellung, denn ich hatte wenig in dieser Richtung unternommen, hatte es auch gar nicht mehr gewollt, nachdem sie mich so oft zutiefst verletzt hatte, aber ich hatte mich von der Möglichkeit als solcher auch nicht ganz verabschieden können. Trotz meiner entschiedenen Haltung wusste ich insgeheim, dass ich eingelenkt hätte, wenn Sally sich mit mir wieder hätte versöhnen wollen.
    Den Mann, den sie geheiratet hatte, kannte ich nur von Hochzeitsfotos, von
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