Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
Vom Netzwerk:
Abstellkammer, die Garage, der Kühlschrank, unter dem Bett, hinter dem Vorhang, im Auto, im Kofferraum, im Garten, im Gartenhaus, im Schnee, unter dem Schnee, im Baum, im Himmel, nichts, gar nichts, niemand, gar niemand, die Lichter, oh du selige, ich war allein, o Tannenbaum, allein, es ist ein Ros entsprungen, ich kniete im Schnee und heulte, Mama, Mutter, Vater, Ivonne, Ingemar, warum habt ihr mich verlassen, bin ich denn schuld, im Namen des Vaters schuld, im Namen des Sohnes schuld und des heiligen Geistes schuld, eine Geisterstadt, ich sah keine Menschen, keine Menschenseele, ich irrte umher, zumindest eine Tankstelle, dachte ich, Wunderkerzen kaufen, eine Badewanne voll Wunderkerzen, in Wunderkerzen baden und dann das Streichholz, Hosanna in der Höhe, es jauchzen die Engel, ein Feuerwerk, eine blaue Tankstelle, eine gelbe Tankstelle, eine grüne Tankstelle, ich lief, ich war in Turnschuhen, ohne Jacke, Advent, Advent, ein Lichtlein brennt, ich brannte lichterloh, mir war ein Licht aufgegangen, warum verstanden sie mich nicht, warum waren sie ohne ein Wort gegangen, ausgezogen ohne ein Wort, aber sprich nur ein Wort, wortlos verlassen, und meine Eltern, wo waren sie, bei ihr, aber ich war ihr Sohn, sie tragen besondere Verantwortung, das steht doch hier, besondere Verantwortung, ich trage sie auch, ich trag sie wie ein totes Kind auf meinen Armen durch die Stadt, seht meine Verantwortung, meine Eltern haben mich allein gelassen, immer haben sie mich allein gelassen, sie hielten es für ihre besondere Verantwortung, mich allein zu lassen, du schaffst das schon, er muss sich alleine durchbeißen, allein ist der Mann, warum soll ich sie ehren? Dabei war ja alles glücklich.
    Und doch stand ich dann allein in der Kirche, ich öffnete die Tür und dachte, auch hier wird niemand sein, ich werde alleine sein, allein in der Kälte. Aber ich hatte mich getäuscht. Die Kirche war voll, brechend voll, Menschen Schulter an Schulter, Atem an Atem, glückliche Menschen, Menschen voller Erwartung, Kinder mit glühenden Augen, Kinder mit ungeduldigen Augen, Alte, Gebrechliche, Jugendliche, coole Jungs, Jungs wie mein Junge, pubertär, mit der Kraftanstrengung, mit all der Herkulesanstrengung, cool zu sein, die Pickel wegzudrücken, aus dem Gesicht, aus dem Geist, aus dem Spiegel, die Spiegel einschlagen mit dem coolen Blick, maximale Coolheit bei minimalem Weihnachtskleidungskompromiss, Weihnachtsbäume auf den Boxershorts, Weihnachtsmänner auf den Arschbacken, offene Schnürsenkel, Kapuzen groß wie Loungechairs, Kopfwippen, als wären Stöpsel in den Ohren, die Gregorianik einfach im Kopf wegbeatboxen, die Mädels in der Menge suchen, was geht, bei der Kommunion, was geht, wo geht ihr nachher hin, geht noch was, die Mamas in den Pelzmänteln, wieder Pelzmäntel, kein schlechtes Gewissen, die Rendite um den Hals, schön warm, die Ugg-Boots, ihre Weihnachtsmesse sponsored by, ich drängte mich durch die Menge wie durch ein Kaufhaus beim Winterschlussverkauf, zwängte, quetschte mich hindurch, warum, wusste ich nicht, ich wusste nicht, warum, warum nach vorne, wie in den Konzerten in die erste Reihe, alles hinter dir drückt nach vorne, drückt dich in die Absperrung, wann kommt er, der Heiland, wann betritt er die Bühne, lights out, Kerzen an, sie singen, O, o, o du fröhliche, gleich kommt er, es ist ein Ros entsprungen, er springt in die heilige Menge, der heilige Geist, er zerschlägt seine Gitarre, die Kassen sind überfüllt, die Einkaufswagen schieben sich ineinander, wo ist er, wo bleibt er, alle umarmen sich, frohe Weihnachten, gesegnete Weihnachten, ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachten, ein friedvolles Fest, ein Friedensfest, das Fest der Liebe, der Liebe, das Fest der Familie, die Jungs berühren sich mit den Fäusten, klatschen sich ab, was geht, Weihnachten geht, Playstation, Subwoofer, die Kirche leerte sich, die Schritte, der Hall, die Kerzen, sie löschen die Kerzen, komm, komm zu mir, lösch mein Herz, die Flamme, die da noch flammt, die Hoffnung, die Sparflammen, lösch sie, erstick sie, blas auf mein Herz, es flammt nicht mehr auf, meine Seele wie nasses Holz.
    Ich knie, ich kniete, Pater, ich kniete in der Kirche, warum in der Kirche, warum ich allein in der Kirche, wo war sie, die heilige Familie, der Stall, mein Stall, die Jungs, mein Sohn, meine Frau, meine Eltern, die Heilige Familie, die Familie ist mir heilig, sagte ich, heilig, heilige Maria, bitte für mich, aber ich ehrte meine Familie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher