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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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es vererbbar? Ist das die Erbschuld? Meine Eltern. Ich sollte sie ehren, Vater und Mutter. Er sollte mich ehren. Sie werden ungeduldig, nicht, oder friert Sie? Ich sehe es an Ihren Bewegungen, ich habe gelernt, Körper zu lesen, wissen Sie. Gott hat Zeit, ich nehm sie mir, Gott schenkt mir Ihre Zeit. Hat eigentlich schon einmal jemand im Beichtstuhl geraucht?

16
    Scotty duldete keinen Widerspruch. Er brachte Bonnie zurück ins Sonnbühel. Am liebsten hätte er sie gleich auf der Ehrenbachhöhe versorgt, versucht, einen Arzt zu finden unter den Gästen oder über die Bergwacht. Aber Bonnie hatte darauf bestanden, es sei nur der Schock gewesen, sie hätte sich nicht verletzt, ein paar blaue Flecken, nie und nimmer innere Verletzungen, ihr Bauch sei okay. Aber Scotty hatte in ihren sprechenden Blicken eine andere Wahrheit zu hören geglaubt, lautlos, aber umso lauter schreiend. Er konnte ihr nichts befehlen, war erleichtert, dass sie sich bereit erklärte bei der Suche nach dem zweiten Zauberwald nicht mehr mitzumachen und sogar zuzulassen, dass Christoph allein weiterfuhr und Scotty ihr half, sie begleitete, und ebenfalls die Suche abbrach.
    Das passte nicht zu ihr, dachte Scotty, und das befeuerte seine Sorgen umso mehr, als sie darauf bestand zum Sonnbühel gebracht zu werden, um mit der Mutter zu reden, um dort zu sein, wohin Christoph zurückkehren würde. Wenn er zurückkehrte. Sie hatte darauf bestanden, dass er das Funkgerät nähme. Damit konnte er alles mithören, sorgte sich Scotty jetzt, hatte sie das denn nicht bedacht? Oder war es eine dieser schlimmen Perversionen unserer Zeit, dass man sofort den Vater verdächtigte? Die Verdächtigung eines Menschen, der die schlimmste aller Ängste durchlitt, wenn er unschuldig war, die Angst, sein Kind könnte tot sein. Und diese Angst wird noch von uns mit Füßen getreten, Scotty blickte ihm nach, obwohl er längst nicht mehr zu sehen war.
    Hoffentlich hörte der Sturm bald auf, damit sie wirklich so suchen konnten, wie es nötig war, versuchten sie, die Suche nicht zu verhindern wegen der Furcht um ihr Image, der fatalen Furcht vor falschen Schlagzeilen. Für welche unwichtigen Dinge riskieren wir täglich die Leben unserer Kinder, fragte Scotty sich und hatte jetzt Bonnie aus dem Wald geführt. Noch ein paar Höhenmeter, dann konnten sie hinabrutschen zum Sonnbühel.
    Minuten später sah er schon die Kapelle unter ihnen und dachte, dass es nie zu spät für ein Stoßgebet sei, nachdem er Bonnie geraten hatte, sie solle an etwas Schönes denken, etwas, das ihr Kraft gebe. Einen Strand. Als er das Wort Strand mitten im Schneesturm sagte, dachte er an Ibiza, und für einen Augenblick war alles vergessen und sein Gesicht glühte in der Sonne. Ach, die schönen Plätze dieser Welt, und er beschloss, diesem schrecklichen Tag im Steuerberg eine glückliche Wendung zu geben, falls diese noch möglich war.
    Der Steuerberg war das zweite Wohnzimmer von Scotty, wenngleich man ihn sich nie in einem solchen Wohnzimmer vorstellen konnte, denn was bei ihm zu Hause streng war, war hier verspielt, war sein Haus ein kubisches Kunstwerk raffinierter Perspektivverschiebungen, war der Steuerberg ein Zauberberg, an dem alles Überfluss war, überbordete, Ornament und Karneval war. Eine Wohnung, vor deren Einrichtung man nie auf Scotty schliessen würde, der sich hier sichtlich wohlfühlte, beschützt von beruflicher Strenge, hier mitten im Spiel oder den Reden, Erzählungen und Arabesken von tausendundeiner Winternacht. Am meisten liebte er das Fleisch, dieses Fleisch, das auf der Zunge zerging, und die herrlichen Weine, die die Zunge lösten. Hier konnte Scotty alles vergessen, kommen und gehen, wann er wollte, während alle anderen um einen Platz zur Erlösung von den Sünden bettelten. Der Steuerberg war für ihn ein Stück Kindheit, wenn er sich in dieses Lokal wie in eine Decke nach dem Fussballspielen hüllte. Aber die Kindheit hier in Kitzbühel war härter gewesen, härteste Arbeit und Entsagung, bevor die Touristen kamen und die Küsschen links und rechts. Und das spürte er und war umso dankbarer.
    Ein Blick zu Bonnie holte ihn jäh zurück aus den Träumen. Bonnie hatte nicht, wie Scotty gesagt hatte, an einen Strand gedacht, sie dachte an den letzten Moment, in dem sie glücklich gewesen war, glücklich und traurig zugleich, aber traurig in einer Sanftheit, die versprach, dass alles irgendwann okay wäre, es tut gleichmäßig weh, es ist ein Anfang. Bonnie hatte an das
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