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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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sich sein Gesicht eingebrannt hätten, die ihn wiedererkannt hätten, identifiziert, rekonstruiert, die sein Gesicht aus Tausenden Gesichtern zusammengesetzt hätten, die Nasenflügel breiter, die Augenbrauen tiefer, die Lippen voller, eine Narbe auf dem Lid, enger anliegende Ohren, Locken, nein, nicht Locken, der Helm, gibt es keinen Helm in dem Programm, holen Sie einen Zeichner, können Sie auf dem Computer nicht zeichnen, Bart, ja, nein, Dreitagebart, die Haut, eher dunkel, trotz Kälte, trotz der Leichenblässe dunkel, eher südländisch, Haarfarbe, schwarz, ja schwarz, ein schmutziges Schwarz. Aus dem Baukasten seines Sohnes hätte der Alte ihn zusammengesetzt, der Kopf eines Panthers auf dem Körper eines Esels und den Beinen eines Nilpferds, die Augen eines Adlers, die Lippen eines Kamels, die Haare eines Affen, die Ohren eines Otters, die Lederjacke eines Bikers, die kurzen Hosen eines Fußballers, Skischuhe, Schwimmmütze, Zigarre, peng, sie explodiert, es ist ein Spiel, alles verändert sich, jeder verändert sich, wie sollen sie sich an mich erinnern, sie müssten sich nicht erinnern, keiner hat mich gesehen. Ahnte der Pater etwas? Ahnte er, warum ich nicht entdeckt werden wollte, habe ich ihn unterschätzt, hat er ihnen ein Zeichen gegeben, holen sie Hilfe, sie kreisen mich ein, der Schnee fällt und fällt und fällt, er schneit mich ein, ich werde in der Kirche eingeschneit, mit dem Pater eingeschneit, im Beichtstuhl eingeschneit, den Schnee schon bis an den Lippen, er friert, meine Lippen frieren zusammen, ich kann meine Lippen nicht mehr öffnen, wie Eiswürfel kleben sie in meinem Gesicht.
    »Das dritte Gebot«, hob er gegen alle seine Schübe an, »können wir auslassen. Ich kann keinen Sonntag. Ich war ein Sonntagsarbeiter, Sonntag war Spieltag.« Aber der Sonntag war für mich kein Spiel, kein kurz in die Kirche gehen, sich den Segen holen, Weihwasser auf die Stirn, beten, Hände kneten, zeigen, dass man da ist, zeigen, wer man ist, was man hat, was man haben wird, dann essen gehen, mit der Familie, Sonntagsbraten, Satansbraten, geschmort, ich war wie in einem Schmortopf gefangen an solchen Sonntagen, an den spielfreien Sonntagen, an den Familiensonntagen, wenn ich nicht verreisen konnte, durfte. Sonntag ist der Tag des Herren, der Herrentorten, der Herrenreiter, sonntags spielen die Herren Dame, befeuchten ihre Zigarren, sonntags wird spazieren gegangen, ausgiebige Spaziergänge, Kreuzgänge, in denen du zu Kreuze kriechen musst für all die Sünden der Woche, Sonntag ist Harmonie, nichts ist härter als diese Harmonie der Sonntage, die ruhige Zeit, wenn es in dir schreit, lauter als in den Fankurven, wenn du Feuerkörper zündest und doch nur die Kerze anmachst, damit wir es gemütlich haben, ausspannen können, alle viere von sich strecken, niedergestreckt, Bauchschuss, noch eine Torte, Plattschuss, ich kann nicht mehr, einen Schnaps, Shot, und in den anderen Ligen spielen sie erst abends, wo sie den Winter durchspielen, musst du immer die Nächte vor dem Fernseher verbringen, kannst du die Spiele nicht aufzeichnen, wir sind eingeladen, wir bekommen Gäste, wer bekommt sonntags Gäste, abends, Samstag bist du doch nicht da, Samstag spielst du doch, als wäre nicht all die Tage Fußball genug.
    Ich arbeite, verdammt, ich scoute Spieler, das ist wie Aktien verkaufen, ich könnte auch in eine Bank gehen, in einer Bank arbeiten, meine Spieler sind meine Bank, sie sind eine Bank, und wer sich auf die Bank setzt, der greift mein Kapital an, ich kaufe und verkaufe nicht in Millisekunden, ich bin nur ein Vermittler, nein, ein Freund, ein Freund des Fußballs. Sonntags ist der Fußball meine Messe, Herr Pater, die Stadien die Kathedralen, zu denen ich pilgere, die Dorfkirchen, die Bolzplätze, die Käfige in den Outskirts, die Garagentore sind meine Sakristei, meine Ministranten sind die Jungs, denen der Ball am Fuß klebt, die von der Straße kommen, die aus den Asylheimen kommen, die mit den Schiffen aus Afrika kommen, die fast verdurstet sind, aber verdursten, wenn sie nicht spielen, Ball für die Welt, das ist mein Programm, ihr könnt ihnen ruhig Brot versprechen, ich lass es sie verdienen, ohne dass sie betteln und dabei traurig schauen müssen. Ich bin ein Missionar, verstehen Sie, ich bin dort, wo es weh tut, in den Slums, ich wage mich da rein, ich spreche mit den Jungs, mit den Eltern, ich gebe ihnen Hoffnung, nicht aufs Jenseits und seine Todesschwadrone, nein, hier und heute, zum Fressen
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