Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
Vom Netzwerk:
nicht, nur durch meine Abwesenheit, die Familie ist das Wichtigste auf der Welt, sagte ich zu den Vätern, vertrauen Sie mir, ich halte Ihre Familie zusammen, Sie ziehen mit Ihrem Sohn mit, ich halte die Familie zusammen, family values, best value, meine Valuta, die Jungs, noch Kinder, die Jungs, bald Stars, ein Stern am Himmel, Kometen, ein Komet, kometenhafte Karrieren, ja ist denn heut schon Weihnachten, machte ich Witze, wenn sie in den Profikader kamen, ich habe ein Recht, hier zu knien, und wenn ich die ganze heilige Nacht über auf diesem Stück Eichenholz knie. Hausfriedensbruch, ist das Hausfriedensbruch, habe ich die Friedenspflicht verletzt, Gott, hier bin ich, du hast gewonnen, mach deinen Siegfrieden mit mir, schließe Frieden mit meinem verpfuschten Leben.
    Ich dachte, gleich pfeift er ab, wir haben gewonnen, endlich, das erreicht, wovon ich immer und innigst geträumt habe, und dann der Ausgleich in der Nachspielzeit, in letzter Sekunde, Gott, in letzter Sekunde hast du mich verlassen, mich in die Verlängerung gezwungen, ich dachte, mit fünfzig höre ich auf, nur noch die Familie, schön die Hoffnung hochgehalten hast du, ich hätte wissen sollen, dass das Spiel sich dreht, ich hab geahnt, es lief zu gut, zu märchenhaft, und der große Erfolg, mein größter Erfolg, gerade vor meinem fünfzigsten, als wäre alles wie im Bilderbuch, und da ist mein Bild und das Bild meines Sohnes als strahlender Sieger, sein erster Pokal, auf dem Treppchen, Ausnahmetalent, und noch dazu hier, in Kitzbühel, sein mit dem Himmel um die Wette strahlendes Kaiserwettergesicht, und ich mache den Transfer meines Lebens, Real, Real ist meine Realität, es kommt alles zusammen, es kommt alles, wie ich mir immer wünschte, dass es kommen sollte, aber es kommt anders, schlimmer, als ich es mir je hätte vorstellen können in meinen Ängsten.
    Ich habe keine Angst mehr. Jetzt, wo alles verloren ist, habe ich auch die Angst verloren. Innenpfosten, der letzte Elfmeter, der Ball war unterwegs, aber ich wusste schon, er geht nicht ins Tor, ich wusste, die Stollen bohren sich ins Knie, das erste Spiel, ich wusste nach dem Anruf, es ist zu spät, wusste nicht, was war, warum, ein Streich, postpubertär, der Leistungsdruck, die ganzen Worte, Beschwichtigungen, im Sekundentakt Schreckensnachrichten, ein Tsunami, aber nur über mir, nein, nicht dass es nur über mir regnet und alle in der Sonne stehen, nein, ein Tsunami und ich im Wasserglas, mein Haus, mein Beruf, meine Familie, und alle schauen durch das Wasserglas, wie wir ertrinken, wie es uns über das Haus wirbelt, durch den Keller spült, alle, die mit mir zu tun haben, werden unter Wasser gedrückt, ringen nach Atem, schleudern gegen Wände, die Dächer stürzen ein, die Sonne taucht wie eine Tablette ins Wasser, man kann nichts mehr sehen, nur die Wirbel, alles wirbelt, Körperteile, Hoffnungen, Geldscheine, Pokal, aber das Glas bricht nicht, bräche das Glas, gäbe es vielleicht Rettung, aber das Glas ist gepanzert, das Glas ist schussfest, feuerfest, Sicherheitsglas, das Glas, hinter dem alles, was mir sicher war, sicher zu Bruch geht, und du, Gott, schaust zu, schüttest alles in den Ausguss, nein, mit spitzen Fingern fischst du mich heraus, deinen Zierfisch, und wirfst mich hier auf die Straße, und ich zapple auf dem Eis, immerhin Eis, das ist ja fast wie Wasser, das ist feucht, und wenn es wärmer wird? Aber wenn es kälter wird, bleibe ich kleben, und das Eis umschließt mich, und der Stein umschließt mich, ich werde ein Fossil, ein Briefbeschwerer für die Leichtgläubigen, Gott. Warum haben mich meine Eltern nicht vor all dem bewahrt?
    Ödön beugte sich nach vorne, um eine Schnalle seines Skischuhs zu öffnen, als es ihm in den Rücken schoss, der Schmerz verzerrte sein Gesicht, er hätte schreien wollen, laut aufschreien. Jede Bewegung wird von diesem Augenblick an eine Folter sein, wusste er, er würde von unsichtbaren, kalten Händen gequält, Fingern, die sich in seine Wirbelsäule mit ihren Eisnägeln bohrten und drehten. Er würde an nichts anderes mehr denken können, als eine Stellung zu finden, die ihn nicht die Tränen in die Augen trieb. Der Pfarrer wird denken, ich heule, heule wegen meiner Eltern, durchfuhr es ihn, meine Eltern sind zum Heulen, wollte er ansetzen, aber der Schmerz war schneller als sein Satz, narrte ihn, seine Zunge, spielte sein diabolisches Spiel. Immer, wenn er über seine Eltern sprach, bekam er es im Kreuz, alles verschob sich und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher