Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
Vom Netzwerk:
Herzbruchstücken auffangen. Der Abschluss des Höllenblick-Trios war eine schiere, pure Langeweile, die an Körperverletzung grenzte und den letzten Widerstand brach, denn keiner konnte einen zweiten Blick dieser Lawinenstufe ertragen, ohne verschüttet und vergessen werden zu wollen.
    »Halt an der Apotheke«, herrschte Bonnie Schatterer an, der überrascht auf die Bremsen trat, als gälte es einen Unfall zu vermeiden. »Kopfschmerzen?« Statt einer Antwort schleuderte Bonnie die Tür ins Schloss.
    Keine drei Minuten später war sie wieder da, stoppte mit dem Daumen die Warnblinkanlage und befahl ihm mit einer Handbewegung loszufahren.
    »Hast du die Apotheke überfallen, Aspirin oder Leben?«
    Bonnie ignorierte ihn. Besser ihn ignorieren, dachte sie, besser für uns beide, schlimmer kann ein Tag gar nicht beginnen. Sie verstaute die Waffe im Handschuhfach, zog ihren Frauenschuh-Anorak aus, dann den schwarzen Kaschmirpulli, bis sie nur noch im T-Shirt war. Während sie sich auszog, hatte sie ihn beobachtet und einen seiner Sprüche erwartet, aber er hatte sie sich offensichtlich verkniffen, gut für ihn. Sie schwitzte. Sie schloss die Augen. Wie die Rennfahrer jetzt die Strecke vor dem inneren Auge Revue passieren ließen und mit den Händen die Kurven nachfuhren, versuchte sie sich durch die entscheidende Nacht zu navigieren.
    »Hast du Bode Miller gelesen?« Was interessierte sie, was dieser blasierte Amerikaner von sich gab, ob er sich für den besten Skifahrer der Welt hielt und die Streif nur für ein Kinderspiel. Kinderspiel – Gänsehaut überzog ihre Arme, ihren Rücken, Bestzeit, ihr Körper war in Sekunden eine Buckelpiste und ihre Angst ritt Freeride über ihre Haut, tauchte unter sie mit ihren breiten Skischaufeln, stob alles Verdrängte auf, umschloss sie mit Kälte und Schnee. »Nur die erste Viertelminute sei ein Teufelsritt, meint er, dann sei alles überschaubar und kein Vergleich zu Wengen, wo einem am Ende die Kraft ausgeht, wo die Oberschenkel aufgeben, der Kopf, der ganze Körper streikt, du aber trotzdem noch die Kurve kriegen musst und die Kanten ins Eis fräsen. Nur weil er die Streif noch nicht gewonnen hat, macht er uns hier madig, relativiert alles. Erst marschieren sie in den Irak ein und dann schicken sie uns auch noch ihre Skimarines. Die sind doch auf Koks, bei denen sollten wir mal eine Kontrolle machen, eine Haarprobe, wenn du mich fragst.«
    »Aber ich frag dich nicht. Pass doch auf, wir brauchen nicht noch eine Kühlerfigur, eine reicht. Warum trifft es immer mich zur Streif?« Bonnie schlug mit ihrem Schuh gegen das Handschuhfach, das sofort aufsprang und ihre Pistole auswarf, was einen Fan, der neben ihrem Fenster lief, panisch aufschreien und weglaufen ließ. »Die könnten die Streif doch nach München verkaufen zum Oktoberfest. Die fahren doch auch im Olympiastadion Slalom.«
    »Du bist eben keine Österreicherin, du verstehst das nicht.«
    »Fehlt nur noch, dass du mir sagst, ich kann nicht Skifahren. Ich bin Europacup gefahren, was denkst du, warum ich hier gelandet bin?«
    »Weil du mit allen Schlitten fährst«, lachte Schatterer.
    »Was willst du damit sagen, dass ich mit jedem ins Bett steige?«
    »Hast du …, ich mein’, warum bist du denn heute so gereizt?«
    »Wir parken in der Tiefgarage vom Rasmushof.« Bonnie verstaute ihre Waffe im Halfter unter ihrem Anorak. »Ich geh rauf auf das Zimmer und mach alles klar.«
    »Sollten wir nicht ins Zelt?«
    »Zelt? Das stehen keine Bierbänke drin. Das ist eine aufblasbare, zweistöckige Luxuslounge, als würden die hier Formel 1 fahren oder Champions League spielen, dabei schauen sie nur ein paar selbstmörderischen Grünschnäbeln mit betonierten Oberschenkeln dabei zu, wie die Streif sie in den Arsch fickt, während die glauben, sie ficken die Streif, und das ganze Volk im Zielraum hofft, dass sie alle durch die Luft fliegen und in Einzelteile zerlegt unten ankommen, Skizirkus, Knochenkonfetti. Und ihr hisst wieder die weiße Fahne, aber merkt es nicht mal, weil ihr oben und unten einen roten Balken habt, eure Bretter vorm Kopf und unter den Füßen.«
    »O.k. Ich höre dir zu, heul dich aus. Hier ist meine starke Schulter. Wie heißt er? Ein Skifahrer, stimmt’s? Ein Ex-Skifahrer? Bonnie?«
    »Bonnie«, sie konnte es nicht mehr hören, hielt sich die Ohren zu. Sie hatte sich diesen Namen nicht ausgesucht. Sie hieß Brigitte, kein unschöner Name, kein Name, um ihn zu ersetzen, auszutauschen, zu verniedlichen oder zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher