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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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Mamis Blicke ihn und sie schimpft, wenn sie denkt, ich höre es nicht, weil ich in meinem Kinderzimmer bin, aber ich bin nicht in meinem Kinderzimmer, ich steh hinter der Tür oder ich versteck mich unter der Treppe. Sie kennen meine Verstecke nicht, ich habe die besten Verstecke. Wenn ich mit meinen Freunden verstecken spiele, finden die mich nie, suchen überall, mach mal piep, aber ich mach nicht piep, ich bin ganz still, still wie ein Indianer, auch wenn es schmerzt, mucksmäuschenstill bin ich, und halte die Luft an, wenn jemand kommt, und stell mir vor, ich tauche und ich suche ein Schilfrohr, damit sie mich nicht finden und ins Wasser schießen. Im Verstecken bin ich der Beste, deshalb mag auch niemand mehr mit mir Verstecken spielen, obwohl ich es am liebsten spiele und mir Höhlen baue. Überall, wo ich bin, bau ich mir Höhlen und dann sieht mich keiner, aber ich höre alles, und kann durch einen Spalt zuschauen, was sie machen, wenn sie denken, ich seh nichts, und sie sich streiten oder es nur aussieht wie Streit, aber sie Sex machen, und sich küssen, als würden sie sich Kaugummis aus dem Mund klauen. Und dann stöhnen sie, aber anders, als wenn ich etwas sage, du störst, kann ich nicht einen Augenblick, kann man denn nicht eine Sekunde in diesem Haus mal seine Ruhe haben, ich kann nicht alles gleichzeitig machen, pass doch auf, mir ist langweilig, mir ist langweilig, ich kann das nicht mehr hören, mir ist langweilig, nein, du darfst nicht mein iPhone haben, wir hatten auch keine iPhones, wir haben gespielt, ihr seid doch zu zweit, warum spielt ihr nichts, dauernd stöhnen sie, wenn ich was sage oder mir wünsche, alles, was ich mach, ist falsch. Und wenn ich mit ihnen spielen will, geben sie mir das iPhone, ich sag einfach, ich will mit ihnen spielen, spielst du mit mir bitte, dann bekomme ich es, denn ich will ja gar nicht mit ihnen spielen, weil sie gar keine Lust haben mit mir zu spielen, nur ihr schlechtes Gewissen spielt mit mir. Mami spielt immer mit mir, wenn sie nervös heimkommt, wenn sie so verwuschelt aussieht und Stress hatte, wie sie sagt. Stress mich nicht, sagt sie dann, ich halte diesen Stress nicht mehr aus, und dann soll ich auch noch mit dem Jungen spielen, spiel du mit ihm, spielt doch Fußball.
    Sie alle wollen mich loswerden, da verstecke ich mich lieber, dann bin ich sie los und bin mein eigener König und meine Familie, dann bin ich Papi und Mami und habe Zeit für mich und wir kuscheln zusammen und kauern und schmusen uns zusammen wie junge Welpen, wir liegen ganz nah beieinander und spüren unseren Herzschlag, alle zusammen. Wenn ich allein bin in meinen Höhlen, kauere ich mich immer so zusammen, wie ich es bei den Wölfen gesehen habe. Papi hat gesagt, hier gibt es keine Wölfe mehr, keine einsamen Wölfe, die durch die Wälder streunen mit blitzenden Pupillen, keine Wolfsrudel. Hier jaulen die Menschen wie die Wölfe, sagte Papi, und tragen Wolfspelz, blökend mähende Schafe im Wolfspelz an ihren Champagnerflaschen und Zickenzitzen nuckelnd.
     
    Papi ist immer aggressiv, wenn wir im Sonnbühel sind und die Männer Mami Schnaps spendieren oder ihr sagen, wie umwerfend sie aussieht und sie kennen, obwohl Papi die Männer gar nicht kennt und nur anknurrt, ohne zu beißen. Wenn er ein berühmter Skifahrer wie der Franz geworden wäre, dann würden sie sich vor ihm auf den Boden werfen und alle viere in die Luft strecken und mit ihren dicken Schwänzen wedeln, bis Mami sie streichelt. Aber Papi war zu langsam, weil er studieren wollte, sagt er, weil er Geld verdienen muss, damit wir uns diesen Urlaub leisten können und die Skischule. Aber die Skischule kann er sich sparen, das Geld schenk ich ihm und noch dazu mein Taschengeld.
    Ich bin ein russischer Wolf, ihr werdet es schon merken, wenn wir gleich aussteigen, nahm er sich vor und umklammerte schon fest seine Stecken, als sie den Bügel öffneten und er sich aus dem Sessellift stemmte mit aller Kraft in seinen dünnen Armen. Er schob so kräftig an, wie er konnte, als müsse er seinen Mördern entkommen, warf sich nach vorne und hörte nicht auf ihr Rufen in seinem Rücken.

8
    Es konnte unmöglich wahr sein, versuchte sich Bonnie zu beruhigen. Ein Materialfehler, irgendein Fehler, sie hatte etwas falsch gemacht, sicher, ganz sicher, hundertprozentig. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Sie war völlig betrunken gewesen, und ihre Angst hat die Farben verwechselt, das Ja und das Nein oder was auch immer. Sie trieb
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