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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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Vergleich zu seinen Kunden, für die er die Welt nach den schönsten Objekten absuchte und sie dann, wenn nötig mit etwas Nachdruck, kaufte, baute, herrichtete, in Anlagen verwandelte, die wie die Luxusmarkenaufdrucke wirkten, die Entwertung der Werte durch Werte. Er lieferte schlüsselfertig, mit Leibgarde, Pizzaservice, Drogenkurier, Prostituierten, Politikern, das ganze Paket, je nach Bedarf. Er hatte alles im Griff, fühlte sich als eine Art Regisseur. In der Schule hatte er Tschechow inszeniert, er wäre gern zum Theater gegangen, aber dieses Theater, das er jetzt veranstaltete, übertraf die Mittel der herkömmlichen Bühnen bei weitem, denn ihm waren keine Grenzen gesetzt, wenn ihn auch das Personal mittlerweile langweilte, er lieber mehr Beckett statt Bumsbarock hätte.
    Überhaupt war er die Verkleidungen leid, dass er sich wie diese Neureichen anziehen musste und ihnen nicht mit Stil ihre Stillosigkeit demonstrieren durfte. Wenn diese hochnäsigen Architekten die Nasen rümpften, wenn sie seine Outfits sahen und ihnen bei seinen Wünschen das Hören und Sehen verging, bis die Geldbündel aus seinen Taschen ihre Sinnesorgane betäubten. Vladimir hätte am liebsten ganz Kitzbühel gekauft und in eine Art Russendisney verwandelt. Danach hätte er sich in einem schönen Tal unweit des Irrsinns einen Bauernhof gekauft und von dort aus das Fegefeuer beobachtet.
    Aber davon war er weit entfernt. Gerade jetzt klappte es nicht. Und deshalb musste Andrej mit seinen großen Klauen das Kind klauen. Nur bei den Kindern konnte man sich sicher sein, dass die Widerspenstigen zahm würden. Er hätte alles gegeben, deshalb durfte Andrej seine Töchter nie aus den Augen verlieren und musste wie ein Bär auf Skiern hinter ihnen her tölpeln, einen Tellerlift unter seinem dicken Hintern. Doch heute musste er für einen Jungen den Onkel spielen.
    »Worauf wartest du noch, Andrej?«, schnitt Vladimir ihm das Träumen ab, »vor Mitternacht brauche ich seine Unterschrift, sonst ist der Vertrag geplatzt.«
    »Und wenn der Kleine schreit? Es sind Tausende auf der Piste und er ist doch im Skikurs, seine Lehrerin?«
    »Bezahl ich dich für deine Bedenken? Dir wird schon was einfallen. Was weiß ich, wenn er aufs Klo geht oder aus dem Lift steigt, nimmst du ihn zwischen die Beine. Es muss aussehen, als hätte er sich verfahren, als wäre er abgehauen. Keine Show, keine kreischenden Mütter, ich will nicht, dass dir tausend Leute hinterherrasen wie in so einem bescheuerten Bond-Film. Lock ihn in eine Gondel, fahrt runter, sei nett. Kinder lieben dich doch. Und jetzt will ich nichts mehr hören.«
    Vladimir drehte ihm den Rücken zu und blickte gebannt auf die wackligen Versuche seiner Töchter, die er applaudierend begleitete. Andrej zündete sich eine Zigarette an und schlurfte zum Wagen, um seine Ski zu holen. Am Ende würde er sich den Hals und beide Beine brechen. Oder Vladimir würde das übernehmen, wenn er versagte und wegen seiner Unfähigkeit das Hotelprojekt scheiterte. Irgendwie würde er sich den Kleinen schon krallen, sprach er sich Mut zu, besser als Babylift fahren war es allemal. Wohin jetzt? Sicher würde sich der Kurs auf der Ehrenbachhöhe sammeln. Mal sehen, wie viele es wagten, mit ihm in der Gondel zu sitzen, wenn er sein nettes Lächeln aufsetzte und seinen Anorak zuzog, sodass sich die Waffe im Halfter abzeichnete.

7
    Immer müssen sie sich streiten, schmollte Igor und suchte die Gummibärentüte in seinem Anorak. Er hätte die Handschuhe dafür ausziehen müssen, aber die Finger fühlten sich schon an wie abgefroren. Er hatte Angst, sie könnten beim Ausziehen in den Handschuhen stecken bleiben und er zöge nur eine Stummelfaust heraus wie bei dem Zombiefilm, den er auf Papis iPad entdeckt hatte, wo man die Toten erschießen musste oder ihnen mit einer Armbrust die Stirn spalten. Seitdem stellte er sich die schlimmsten Dinge vor, die in seinen Handschuhen passierten, wenn die Kälte in sie kroch und er nur noch den Schmerz und nicht mehr die Fingerspitzen spürte.
    Nein, Fäustlinge wollte er nicht mehr, die trugen nur die kleinen Jungs, die Heulsusen, er war neun, er würde nächstes Jahr aufs Gymnasium gehen, wenn Mami und Papi sich einigten, wohin. Mich fragt keiner, fing er fast zu heulen an, wo ich hin will. Ich will auf dieselbe Schule wie meine Freunde, warum muss ich Latein lernen? Mami kann doch auch kein Latein, Papi auch nicht, Papi will, dass ich Skifahrer werde. Wenn ich schon nicht Fußballspielen
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