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Seidenfpade

Titel: Seidenfpade
Autoren: Ann Maxwell
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auffallen, aber Feng schon, falls er der Hinzugekommene war.
    Shane und die Ratte starrten einander im Halbdunkel an. Das Tier war ihm jetzt so nahe, daß er einen Floh über ihre haarlose Nase zu ihrem Augenwinkel krabbeln sehen konnte.
    Die Ratte kümmerte sich nicht um den Parasiten. Hin- und hergerissen zwischen dem Instinkt, zu fliehen oder anzugreifen und eine fette Mahlzeit zu bekommen, wartete der Nager unentschlossen ab.
    Der Amerikaner spitzte die Lippen und blies langsam in Richtung dieses Greuels.
    Die Ratte tat einen Schritt zurück, drehte sich dann um und hastete leise zu ihrem Bau unter der losen Schindel zurück.
    Millimeter um Millimeter schob sich Shane weiter zum Dachrand vor, wobei er zuerst jede Schindel prüfte, bevor er weiterkroch. Er bündelte seine gesamte Energie in sich und schloß jegliche Gedanken, die ihn ablenken könnten, aus. Keinesfalls durfte er sich durch ein Geräusch verraten.
    Noch ein halber Meter, dann nur mehr ein viertelten
    Lautlos wie die Nacht glitt Shane die Dachschräge abwärts, bis der Rand einen Zentimeter von seinen ausgestreckten Fingern entfernt war.
    Jetzt vernahm er die Stimmen deutlich.
    »Du bist schon vor einer Weile hier vorbeigeschlichen«, sagte Dani vorwurfsvoll.
    »Ja, Miss Warren.«
    »Ich habe dir doch gesagt, daß ich allein kommen würde.«
    »Ja, das haben Sie. Aber dieser Unwürdige mußte sichergehen, daß wir ungestört sind.«
    Wieder rückte Shane ein kleines Stückchen vor. Mit einem Auge konnte er nun gerade Danis Kopf sehen. Sie hatte dunkles, samtiges Haar. Sicher ist sie schon ’ne Weile unterwegs, dachte Shane. Ihr Haar sieht aus, als wär es erst kürzlich mit einem Jagdmesser oder einer stumpfen Schere geschnitten worden.
    Langsam wie ein Schatten im Mondlicht schob sich Shane das letzte Stückchen vor, so, daß er nun auch Danis Gesicht ins Blickfeld bekam. Sie hatte eine klare, reine Haut und wohlgeformte Züge. Ihre lebhaften, haselnußbraunen Augen waren jetzt so dunkel wie die Nacht.
    Attraktiv hätte er sie zu jeder Zeit gefunden, aber die Intensität ihrer Augen, mit denen sie Feng in diesem Moment musterte, war unwiderstehlich.
    Diese Frau besitzt Stärke, erkannte Shane. Zu dumm, daß sie so naiv ist, sich in eine derart ausweglose Situation zu manövrieren.
    Aber nicht naiv genug, um ihre Deckung zur Gänze zu verlassen. Noch nicht jedenfalls.
    »Haben Sie keine Angst, Miss Warren. Sie kennen doch den alten Feng!«
    Fengs breites Lächeln entblößte eine Reihe gelber, schlechter Zähne, die auf ein langes Leben als Kettenraucher hinwiesen.
    Sein Lächeln beruhigte Dani keineswegs. Es erinnerte sie eher an die unheimlich grinsenden Halloweenkürbisse ihrer Kindheit.
    Und sie war verblüfft darüber, daß ein Asiate mit einem derart zahnlosen Lächeln ein so ausgezeichnetes Englisch beherrschte. Selbst die schwierigen Konsonanten sprach er präzise, wenn auch langsam aus.
    »Und wie ich dich kenne«, sagte Dani. »Wo ist die Seide?«
    Sie versuchte gar nicht erst, ihre Ungeduld zu verbergen. Je länger sic an einem derart öffentlichen Ort herumstand, desto größer wurde das Risiko, entdeckt zu werden.
    »Feng ist ein Mann von Ehre«, beteuerte er.
    Er drehte den Oberkörper. Auf seinem Rücken hing ein Metallrohr. Im Abendschein schimmerte es und reflektierte das Leuchten wie der Palast.
    »Die Seide?« fragte Dani.
    »Wie Sie sehen.«
    »Ich sehe nur ein Metallrohr.«
    Feng blieb dicht vor ihr stehen. Er neigte den Kopf zur Seite und musterte sie von Kopf bis Fuß.
    »Und ich sehe keine Hände mit Geld«, entgegnete er.
    Dani behielt die Fäuste in den Taschen. Sie hatte Feng schon bei Tageslicht und in einer Menschenmenge nicht gemocht. Bei Einbruch der Nacht und ganz allein mochte sie ihn noch weniger.
    »Ich habe es«, sagte sie kurz angebunden.
    »Wo?«
    »In der Nähe.«
    Feng zischte durch seine Zahnlücken.
    »Kein Geld. Keine Seide«, sagte er mit einer Grobheit, die er von den Europäern gelernt hatte.
    »Ich habe die Seide noch nicht gesehen.«
    Fengs verengte schwarze Augen suchten nervös die Umgebung ab, versuchten jeden dunklen Schatten, in dem ein unerwünschter Beobachter versteckt sein könnte, zu durchdringen.
    Der Wind heulte, und die Nacht brach endgültig herein.
    Dani, die sich zwang, nicht vor Kälte zu zittern, wartete ab. Sie tat, als ob sie alle Zeit der Welt und ein prasselndes Kaminfeuer zum Wärmen hätte.
    Zögernd nahm Feng den Lederriemen mit dem Metallrohr vom Rücken und schraubte die
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