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Seidenfpade

Titel: Seidenfpade
Autoren: Ann Maxwell
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nach wie vor auf die Knie fielen.
    Nicht das erste Mal erkannte sie, wie zerbrechlich der Mensch, wie kurz sein Leben war angesichts der Ewigkeit. Durch ihre Arbeit als Archäologin kannte sie mittlerweile das Gewicht der Zeit und den Staub menschlicher Knochen und Träume.
    Aber dies war das erste Mal in Danis Leben, daß sie ihre eigene Verwundbarkeit spürte: denn sie stand im Begriff, ein Verbrechen zu begehen, das mit dem Tod bestraft wurde.
    Trotzdem harrte sie aus. Dieses Stück Seide besaß einen höheren Wert als ein Einzelschicksal - auch als ihr eigenes.

2
    Die Ratte war riesig.
    Sie stahl sich unter einer losen Dachschindel hervor und trippelte über den First.
    Kleine Krallen huschten leise klickend über den Giebel. Die feinen Geräusche waren in der Stille um den Palast deutlich zu vernehmen.
    Shane Crowe, der flach ausgestreckt und absolut regungslos auf dem Dach lag, spürte genau den Moment, in dem das Biest ihn witterte.
    Der Nager erstarrte. Seine schwarze Schnauzenspitze hob sich und zuckte. Kohlschwarze Äuglein richteten sich auf ihn.
    Der Kletterer wettete, daß das Vieh auf eine kostenlose Mahlzeit spekulierte. Sorry, Kumpel, da wird nix draus. Ich dufte ja vielleicht nicht gerade wie ein Rosengarten, und mein Bart juckt von all dem Ziegelstaub - aber ich bin keine Leiche, die ein luftiges Begräbnis in tibetischen Höhen bekommt.
    Die Ratte war vorsichtig. Sie lauerte darauf, ob sich der Fleischberg dort bewegen würde.
    Rieche ich nicht tot genug für dich, hm? fragte Shane lautlos. Nun, warte ab ... Ich hab kein gutes Gefühl, was heute abend betrifft.
    Zur Hölle mit sämtlichen Amateuren!
    Die hochstudierte Dr. Danielle Warren - Dani für ihre Freunde - hat weiß Gott hier nichts zu suchen, fand er. Schöne Beine oder nicht, Schwanenhals oder nicht, das hier gehörte absolut nicht in ihren Bereich.
    Besonders nicht, wenn ein Schleimbeutel wie Feng in der Sache mit drinsteckte. Shane hatte sich millimeterweise übers Dach geschoben und rechnete nun mit diesem Herrn. Leider war zuerst die vierbeinige Ratte aufgetaucht. Sie wartete nun mit der Geduld aller Räuber und überlegte, ob dies als Beute in Frage kam oder ob nicht doch besser ein schneller Rückzug angebracht wäre.
    Shane starrte das Scheusal an. Für Tiere bedeutete so ein direkter Blickkontakt eine Bedrohung. Er hoffte, das Vieh auf diese Weise zu verscheuchen, ohne sich regen zu müssen, was seine Anwesenheit möglicherweise verriet.
    Im Gegensatz zur ahnungslosen Dani würde Feng nämlich auf jedes Geräusch achten, das Gefahr bedeuten konnte, auch wenn es vom Dach kam.
    Ob er die Seide wohl dabeihat? fragte sich Crowe zum hundertsten Mal. Oder wird er die hübsche kleine Professorin bloß rupfen wie ein Hühnchen und Fersengeld geben?
    Ermutigt durch Shanes Regungslosigkeit, trappelte die Ratte ein wenig näher.
    Von der Straße unten war ein anderes Trappeln zu hören -menschliches.
    Shane strengte sich an und lauschte. Er betete inbrünstig zu den tibetischen Geistern, daß er etwas von der Unterhaltung zwischen dem Han-Dieb und der amerikanischen Archäologin mitbekommen möge.
    Nun mach schon, Feng, dachte er ungeduldig. Ich möchte den Mann kennenIernen, der die Seide aus dem Azurtempel stehlen konnte, obwohl sie von Männern bewacht wurde, die ich selbst ausgebildet habe.
    Der Han-Dieb war geschickt. Einer unter einer Million.
    Shane kannte die tibetische Hauptstadt so gut, wie sie ein Europäer oder Amerikaner nur kennen konnte; doch Feng war ihm seit drei Tagen immer wieder durch die Lappen gegangen. Was bedeutete, daß der Halunke sehr gute Verbindungen haben mußte und außerdem extreme Vorsicht walten ließ.
    Dies hier war Shanes beste Chance, die Seide wiederzubekommen, vielleicht seine einzige.
    Verdammtes Weib, dachte er. Sie hätte sich keine dümmere Zeit und keinen schlechteren Ort aussuchen können, um seinen Weg zu kreuzen.
    Nun, ich sollte nicht undankbar sein, dachte er. Immerhin hat sie mich zu Feng und - hoffentlich! - zu der Seide geführt. Aber sie ist so verdammt naiv, ich kann sie nicht einfach den Geiern überlassen.
    Als Shane Dani zum ersten Mal zu Gesicht bekam, überraschte ihn sein spontaner Beschützerinstinkt ihr gegenüber. Er hatte sich dagegen gewehrt, weil er wußte, daß es nur zu Komplikationen führen würde, die er sich nicht leisten konnte.
    Aber das Gefühl wollte nicht weichen, er hielt sich für die Frau verantwortlich.
    Da hatte Shane die Angelegenheit mit einem Schulterzucken
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