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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer
Autoren: L See
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anderes als ein Bund von Schwurschwestern. Dieser Bund bestand zwischen zwei Mädchen aus unterschiedlichen Dörfern und dauerte ihr ganzes Leben an, während ein Schwesternbund aus mehreren Mädchen bestand und sich nach der Eheschließung auflöste. In meinem kurzen Leben war ich niemals einer laotong begegnet und hatte nie in Betracht gezogen, eine zu haben. Meine Mutter und Tante hatten als Mädchen Schwurschwestern in ihren Heimatdörfern gehabt. Ältere Schwester hatte jetzt Schwurschwestern, während Großmutter verwitwete Freundinnen aus dem Dorf ihres Mannes als Altersschwurschwestern hatte. Ich war davon ausgegangen, dass ich auch welche haben würde, wenn mein Leben normal verlief. Eine laotong zu haben, das war in der Tat etwas ganz Besonderes. Ich hätte aufgeregt sein sollen, aber wie alle anderen im Raum war ich völlig entgeistert. Dieses Thema sollte man nicht in Anwesenheit von Männern besprechen. Die Situation war so außergewöhnlich, dass mein Vater die Fassung verlor und herausplatzte: »Keine Frau in unserer Familie hatte jemals eine laotong .«
    »Eure Familie hat vieles nicht gehabt … bis jetzt«, sagte Ehrenwerte Frau Wang und erhob sich. »Besprecht diese Angelegenheiten in Eurem Haus, aber denkt daran, es bietet sich nicht jeden Tag solch eine Gelegenheit. Ich werde Euch wieder besuchen.«
    Die Heiratsvermittlerin und der Wahrsager gingen, nachdem beide versprochen hatten wiederzukommen, um meine Fortschritte zu begutachten. Meine Mutter und ich gingen nach oben. Kaum hatten wir das Frauengemach betreten, wandte sie sich um und betrachtete mich mit dem gleichen Ausdruck, den
ich eben im Hauptraum bemerkt hatte. Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, schlug sie mich, so fest sie konnte, ins Gesicht.
    »Weißt du eigentlich, was das deinem Vater für Schwierigkeiten bringen wird?«, fragte Mama. Das waren harte Worte, aber die Ohrfeige sollte Glück bringen und böse Geister verjagen. Immerhin war durch nichts garantiert, dass meine Füße wirklich wie goldene Lilien werden würden. Es war genauso gut möglich, dass meiner Mutter bei meinen Füßen ein Fehler unterlaufen würde, so wie es ihrer Mutter bei ihr passiert war. Bei Älterer Schwester war es ihr ganz gut gelungen, aber letztlich war alles möglich. Statt hoch geachtet zu werden, konnte es ebenso gut sein, dass ich wie meine Mutter auf hässlichen Stümpfen herumwankte und ständig mit den Armen fuchtelte, um das Gleichgewicht zu halten.
    Auch wenn mir das Gesicht brannte, so war ich doch im Inneren glücklich. Mit dieser Ohrfeige hatte mir Mama zum ersten Mal ihre Mutterliebe gezeigt, und ich musste mir auf die Lippen beißen, um nicht zu lächeln.
    Den Rest des Tages sprach Mama kein Wort mit mir. Sie ging wieder nach unten und redete mit Tante, Onkel, Vater und Großmutter. Onkel war ein gutherziger Mensch, aber als zweiter Sohn besaß er in unserem Haus keine Autorität. Tante wusste, welcher Nutzen sich aus dieser Situation ergeben konnte, doch als Ehefrau eines zweiten Sohnes, die selbst keinen Sohn besaß, hatte sie den niedrigsten Rang in der Familie inne. Mama bezog auch nicht Stellung, aber da ich ihren Gesichtsausdruck bei den Worten der Heiratsvermittlerin gesehen hatte, wusste ich, wie sie denken würde. Vater und Großmutter trafen zwar alle Entscheidungen im Haushalt, aber beide waren beeinflussbar. Die Ankündigung der Kupplerin war ein gutes Omen für mich, aber es bedeutete auch, dass mein Vater sehr hart für eine Aussteuer arbeiten musste, die einer höheren Heirat angemessen
war. Wenn er sich dem Beschluss der Heiratsvermittlerin nicht fügte, würde er nicht nur im Dorf, sondern auch im ganzen Landkreis das Gesicht verlieren.
    Ich weiß nicht, ob sie sich an diesem Tag über mein Schicksal einig wurden, aber in meinem Kopf war nichts mehr wie zuvor. Auch die Zukunft von Schöner Mond änderte sich mit meiner. Ich war ein paar Monate älter, aber es wurde beschlossen, dass uns beiden die Füße gleichzeitig mit Dritter Schwester gebunden werden sollten. Ich verrichtete zwar noch meine Aufgaben außer Haus, aber ich ging nie mehr mit meinem Bruder zum Fluss. Ich spürte nie mehr wieder die kühle Strömung auf meiner Haut. Bis zu diesem Tag hatte mich Mama nie geschlagen, aber es stellte sich heraus, dass dies das erste Mal von vielen sein sollte. Am schlimmsten war, dass mein Vater mich nie mehr so ansah wie früher. Ich durfte nicht mehr auf seinem Schoß sitzen, wenn er abends seine Pfeife rauchte. Von
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