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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz
Autoren: Brigitte Melzer
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Züge weich. »Pass auf, dass er nicht zu oft die Regeln bricht.«
    Dann breitete er seine Schwingen aus und drehte sich in den Wind, bereit, in die Luft zu steigen.
    »Uriel! Warte!«
    »Was gibt es noch, mein Freund?«
    »Meine Flügel«, brachte ich hervor. »Das letzte Mal hast du sie mir zurückgegeben.«
    Für gewöhnlich zeigte sich in Uriels Zügen unverhohlenes Amüsement, wenn er mit mir sprach. Jetzt jedoch war nichts mehr davon zu erkennen. Auch die wohlwollende Nachsichtigkeit, mit der er mich so oft betrachtete, war aus seinem Blick geschwunden. Alles, was ich in seinen Augen sah, war Bedauern. Ein Bedauern, das mir seine Antwort offenbarte, noch bevor er die Worte aussprach. Aber vielleicht irrte ich mich ja auch! Die letzten Tage hatten gezeigt, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht so weit her war, wie ich immer geglaubt hatte. Ich musste mich einfach irren.
    Doch Uriels Kopfschütteln zerschmetterte meine Hoffnung. »Es tut mir leid, Kyriel.« Der Wind fing sich in seinem Gefieder und zupfte daran. »Sie wurden dir nicht von einem der Unseren genommen, deshalb liegt es nicht in unserer Macht …«
    »Du kannst sie mir nicht zurückgeben.« Meine Worte lagen irgendwo zwischen einer Frage und eisiger Gewissheit. So eisig, wie sich die Morgenluft plötzlich anfühlte, die über meinen erhitzten Oberkörper strich.
    »Es tut mir leid«, sagte er noch einmal. Mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen breitete er seine Schwingen aus und erhob sich in die Luft, wo er so schnell im heller werdenden Morgenhimmel verschwand, wie er zuvor gekommen war.

Epilog
    Ich wusste, dass Jules mir Trost zusprach, hörte ihr leises Wispern an meinem Ohr, doch ich konnte die Bedeutung ihrer Worte nicht erfassen. Zu sehr war ich in meiner Trauer und meinem Entsetzen gefangen. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass ich meine Flügel wieder verlieren würde. Doch abgesehen davon, dass die Umstände vollkommen anders gewesen waren, als ich erwartet hatte, machte das Wissen, dass es geschehen würde, den tatsächlichen Verlust nicht weniger schmerzhaft.
    Allerdings wusste ich auch, warum ich dieses Opfer gebracht hatte. Jules am Leben und den Glanz ihrer Seele in ihren Augen zu sehen, war es wert gewesen.
    Als sie die Arme um mich schlang, erwiderte ich ihre Umarmung und versetzte mich mit ihr in mein Apartment. Ich weiß nicht, wie lange wir eng umschlungen in meinem Wohnzimmer standen, uns aneinanderklammerten wie Ertrinkende … oder Liebende, bis mir auffiel, dass sie vor Müdigkeit schwankte.
    »Du gehörst ins Bett«, sagte ich, ohne sie freizugeben.
    Sie murmelte einen Widerspruch, behauptete, dass es ihr gut ginge und dass sie putzmunter sei, doch ihre undeutlichen Worte straften sie Lügen. Ihren schwachen Protest ignorierend schob ich sie in mein Schlafzimmer und verfrachtete sie ins Bett. Kaum hatte ich sie zugedeckt, machte ich kehrt und ging zur Tür. Ich fühlte mich zwar erschöpft und ausgelaugt, doch ich wusste, dass ich im Augenblick keine Ruhe finden würde.
    »Kyriel?«
    Ich blieb stehen und drehte mich noch einmal zu ihr herum. »Ja?«
    »Geh jetzt nicht.«
    Ihr war anzusehen, dass sie Mühe hatte, die Augen offen zu halten, es war einzig ihre Sorge, die sie überhaupt noch dazu befähigte. »Du brauchst keine Angst zu haben.« Der Schmerz und der Verlust hatten mich schwer getroffen, und es würde einige Zeit dauern, bis ich darüber hinwegkam. Oder zumindest lernen würde, damit zu leben – so wie ich es die letzten Jahrtausende getan hatte. Aber ich hatte nicht vor, mir etwas anzutun. Wenn überhaupt, würde Luzifer eines Tages dafür bezahlen.
    »Ich habe keine Angst«, sagte sie ruhig. »Aber ich will nicht, dass du jetzt allein bist.«
    Da ich wusste, dass sie nicht nachgeben würde, und mir offen gestanden auch gar nicht mehr der Sinn danach stand, jetzt zu gehen, streifte ich meine Schuhe ab und schlüpfte zu ihr unter die Decke. Jules schmiegte sich in meine Arme und war eingeschlafen, bevor ich sie küssen oder auch nur an mehr denken konnte.
    Zu meinem Erstaunen schlief auch ich bald ein. Ich träumte von Luzifer, der lachend über mir stand und meine Flügel betrachtete, die leblos in seinen Händen lagen. Das Bild veränderte sich, Luzifer war verschwunden. Was blieb, waren ein leerer Raum und meine Flügel, deren Ränder sich unter der Hitze der Lavawände zu wölben begannen. Die Hitze fraß sich durch das Gefieder und brachte es zum Schmelzen, als wäre es aus Plastik. Mehr und
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