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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz
Autoren: Brigitte Melzer
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setzte zu einem Widerspruch an, klappte den Mund aber wieder zu. Wir wussten beide, dass es eine Lüge gewesen wäre.
    »Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du deine eigene Art hast, die Dinge anzugehen«, sagte Akashiel. »Und ich habe erlebt, welchen Einfluss du auf Jules hast. Dieses Mädchen glaubt an dich, und sie scheint dir gutzutun.«
    »Und was hat das mit ihrer Mutter zu tun?«
    »Auf deine Weise hast du etwas Gutes getan«, fuhr er fort. »Immerhin hast du niemandem geschadet, und so, wie es um den Gesundheitszustand der armen Frau bestellt ist, scheint es sich wohl auch um einen begrenzten Zeitraum zu handeln. Dieses eine Mal«, er hob den Zeigefinger und hielt ihn mir warnend unter die Nase, »und nur dieses eine Mal bin ich bereit wegzusehen.«
    Ich sparte mir eine Erwiderung ebenso wie die Frage, woher er überhaupt von Jules’ Mutter wusste. Abgesehen davon, dass ihn ein Dank aus meinem Mund ohnehin nur erschüttert hätte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass man vor dem Obersten Schutzengel nicht sehr viel geheim halten konnte.
    Ich suchte nach Jules’ Signatur. Als ich spürte, dass sie nicht mehr in meinem Apartment war, machte ich mich unsichtbar und versetzte mich zu ihr. Sie saß am Bett ihrer Mutter und wachte über deren Schlaf. Als sie mich bemerkte, sah sie auf. Ein zaghaftes Lächeln breitete sich über ihre Züge aus.
    »Ich wusste nicht, wo du bist, und dachte mir, ich könnte die Zeit nutzen, um nach Mom zu sehen.« Ein wenig erschrocken fügte sie hinzu: »Das ist doch in Ordnung, oder? Wir sind nicht länger in Gefahr?«
    Luzifer mochte Rache geschworen haben, doch ich glaubte nicht, dass er in der nächsten Zeit etwas unternehmen würde. Mir würde genügend Zeit bleiben, um Jules beizubringen, auf sich aufzupassen, und dafür zu sorgen, dass sie, so weit es ging, aus der Schusslinie war. Mit etwas Glück würde Luzifer sich nicht einmal für sie interessieren. Ihm ging es nicht darum, mich leiden zu lassen – er wollte mich töten.
    »Nein«, sagte ich. »Das sind wir nicht.«
    »Gut.« Sie atmete auf. »Wie geht es dir?«
    Ich zuckte die Schultern, nicht ohne das Ziehen zwischen meinen Schulterblättern zu spüren. »Ich bin okay.«
    »Nein, das bist du nicht. Aber du wirst es wieder sein. Ich weiß nicht, ob du lernen wirst, damit zu leben, oder ob wir einen Weg finden, dir deine Flügel doch noch zurückzugeben, aber du kommst wieder in Ordnung.«
    Wie machte sie das? Wie schaffte sie es immer wieder, zu erkennen, was in mir vorging, und es dann auch noch in Worte zu fassen, lange bevor ich es konnte?
    Diese Frau war ein Wunder. Sie war all das, was ich nicht war. Wo ich hart war, war sie weich, wo ich Schwierigkeiten hatte, ernst zu bleiben – ganz besonders wenn mich Gefühle übermannten, die ich gerne für mich behalten hätte –, glich sie meinen Sarkasmus durch ihre Beharrlichkeit aus. In der kurzen Zeit, seit wir uns kannten, hatte sie mich dazu gebracht, mich zu öffnen und einfach nur ich selbst zu sein. Jules ergänzte mich so perfekt, dass es mir schwerfiel, mich daran zu erinnern, wie es ohne sie gewesen war.
    In ihrer Unnachgiebigkeit war sie Uriel nicht unähnlich. Wie der Erzengel glaubte auch sie an mich und vertraute darauf, dass ich das Richtige tun würde. Sie beide übten eine eigenartige Macht auf mich aus, der ich nichts entgegenzusetzen hatte. Nicht einmal, wenn ich es gewollt hätte.
    Plötzlich überkam mich das überwältigende Gefühl, etwas für Jules tun zu wollen. Ich wusste, wie sehr sie sich wünschte, ihren Vater zu finden, und ich war bereit, ihr dabei zu helfen. Es würde nicht leicht werden, und wir mussten vorsichtig sein, damit kein anderer Engel davon Wind bekam. Falls wir ihn fanden, mussten wir sicherstellen, dass niemand erfuhr, in welcher Verbindung er zu Jules stand. Andernfalls hätte er die Konsequenzen für sein Handeln zu tragen. Obwohl behutsames Vorgehen nicht unbedingt zu meinen Stärken gehörte, war ich zuversichtlich, dass wir ihn früher oder später finden würden. Sofern er noch am Leben war. Erste Hinweise würde ich sicher in Karen MacNamaras Erinnerung finden.
    Und genau dorthin wollte ich mich jetzt begeben.
    Ich setzte mich auf die Bettkante und streckte meine Hand nach Karens Gesicht aus. Bevor meine Finger sie berühren konnten, hielt ich inne und sah Jules an. »Darf ich?«
    Sie nickte.
    Vorsichtig legte ich meine Hand auf Karens Stirn. Sie schlief noch immer, doch selbst wenn sie erwacht wäre,
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