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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz
Autoren: Brigitte Melzer
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ihren überlebenden Kameraden fortgebracht worden. Wahrscheinlicher war es allerdings, dass die Gefallenen angesichts der himmlischen Übermacht die Waffen gestreckt hatten und nach Hause geschickt worden waren. Ebenso wie die siegreichen Engel.
    Nur Akashiel, Jules und Uriel waren noch hier.
    In dem Augenblick, in dem Jules mich neben sich auftauchen sah, stieß sie einen Schrei aus und warf sich mir so stürmisch in die Arme, dass ich zwei Schritte nach hinten machen musste, um nicht umgerissen zu werden. Ich ließ mein Schwert fallen, die Akte jedoch hielt ich fest umklammert. Erleichtert, sie am Leben zu sehen, zog ich sie an mich. Meine Seite schmerzte dort, wo mich Shandraziels Klinge getroffen hatte, doch das störte mich im Augenblick ebenso wenig wie die Erschöpfung, die ich bis vor drei Sekunden noch bis tief in meine Knochen gespürt hatte.
    Schließlich gab ich Jules frei. Ich hätte sie gerne noch länger gehalten, allein schon, um ihre Wärme zu spüren, die in so angenehmem Kontrast zu dem kalten Wind stand, der beharrlich über meinen nackten Oberkörper strich und mich frösteln ließ.
    Zuerst jedoch gab es einiges zu klären.
    Abgesehen davon, dass die anderen von Japhaels Verrat erfahren mussten, wollte ich natürlich auch wissen, was während meiner Abwesenheit geschehen war. Und dann war da noch Jules’ Akte.
    »Ich brauche noch einmal dein Schwert«, sagte ich an Akashiel gewandt.
    Im Bruchteil eines Augenblicks erschien die Waffe in seiner Hand, und als er sie in die Höhe hob, hielt ich eine Ecke der Akte an die züngelnden Flammen und beobachtete, wie sie am Kartondeckel leckten und sich langsam darüber ausbreiteten. Ich hielt die Akte in die Höhe, drehte sie vorsichtig von einer Seite zur anderen, damit die Flammen wachsen und das darin befindliche Papier ebenso verzehren konnten wie seine Hülle.
    Gebannt beobachtete ich, wie der Kontrakt langsam zu Asche verbrannte. Graue Flocken, die vom Wind aufgenommen und davongetragen wurden.
    Ein hohes Singen erfüllte die Luft, ganz ähnlich dem, das in Luzifers Allerheiligstem zu hören gewesen war. Dieses Mal jedoch wurde die Melodie nur von einer einzigen Stimme getragen statt von Hunderttausenden. Glockenhell und glasklar und so wunderschön, dass es mir eine Gänsehaut verursachte.
    Ich spürte, wie Jules ihre Hand in meine schob, als ich jedoch zu ihr sah, waren ihre Augen auf einen Punkt am Horizont gerichtet. Aufmerksam geworden folgte ich ihrem Blick, und was ich sah, ließ selbst mich in Ehrfurcht erstarren.
    Am Waldrand war ein helles Strahlen zu erkennen, das sich langsam über die Wiese auf uns zubewegte. Ein gleißendes Licht mit einem stahlblauen Kern, das sich uns wie ein tanzendes Irrlicht langsam näherte.
    »O mein Gott«, flüsterte Jules. »Ist das …?«
    »Spürst du es denn nicht?« Ich konnte es fühlen, spürte die Anwesenheit ihrer Seele bis in die letzte Faser meines Körpers. Ein Knistern, das mir über die Haut fuhr und dann darunterkroch. Wärme und unendliche Freude, dass es mir doch noch gelungen war, mein Versprechen zu erfüllen.
    Auf und ab zuckend näherte sich das Seelenlicht Jules langsam an, tastete sich so vorsichtig heran wie ein verschrecktes Tier. Vor ihr blieb es in der Luft stehen. Das Lied der Seele schwoll an, wurde von einer klagenden Weise zu einer fröhlichen. Dann drang die Seele in Jules’ Brust ein und war mit einem Lichtblitz verschwunden.
    Jules stand wie erstarrt da, eine Hand gegen ihre Brust gepresst. Ich glaubte, sie atmete nicht einmal. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, legte ich eine Hand auf ihre Schulter. »Jules?«
    Mit Tränen in den Augen drehte sie sich zu mir herum.Doch da waren nicht nur Tränen, sondern so viel mehr – er war wieder da: ihr Seelenglanz.
    »Dieses Gefühl …«, brachte sie mit bebender Stimme hervor. »Das ist unglaublich. Als wäre ich …«
    »Vollständig.« Ich wusste nur zu gut, was sie empfand, und ich wusste auch, wie es sich anfühlte, es wieder zu verlieren. Jules jedoch würde ihre Seele nicht noch einmal verlieren. Dafür würde ich sorgen.
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich auf die Stirn. »Ich danke dir, Kyriel.«
    Grinsend trat Uriel zu uns und schlug mir auf die Schulter. Ich hatte Mühe, nicht zusammenzuzucken, denn er traf zielsicher die unsichtbaren Stümpfe meiner Flügel. So freundlich der Erzengel auch wirken mochte, so war er zugleich eine Ehrfurcht einflößende Erscheinung. Alt wie die Zeit selbst, wirkte
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