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Seelengift

Titel: Seelengift
Autoren: Veronika Rusch
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erst zwei Wochen waren. Und drei Tage. Er war zu seiner Familie nach Newcastle gefahren, seine Schwester Katie hatte ein Baby bekommen. Mick hatte versucht, Clara zu überreden mitzukommen, doch sie hatte sich entsetzt geweigert. Familienveranstaltungen waren ihr bei ihrer eigenen Familie schon ein Gräuel, aber die Vorstellung, Mick zu begleiten und bei seiner Familie als seine Freundin aufzutreten, war schlichtweg unmöglich. Mick war neun Jahre jünger als sie, gerade einmal vierunddreißig, was zumindest für sie immer wieder Anlass zu Grübeleien war. Und dann noch ein Baby! Freudiges Familienereignis, Oma, Opa, Onkel, Tanten, was auch immer …
    Clara fing an, sich die Zähne zu putzen, und schnitt dabei ihrem etwas zerknitterten Spiegelbild eine Grimasse. Das fehlte gerade noch. Und was, wenn Mick auf die Idee kam, ein Baby wäre auch für sie beide eine gute Idee? Er war noch so
jung. Sicher wollte er Kinder … Clara verharrte mitten in der Bewegung. Ihr Gesicht war wie immer blass, hatte nicht viel mehr Farbe als der Zahnpastaschaum um ihren Mund, und ihre Augen waren von einem feinen Kranz Fältchen umgeben. Normalerweise sah man sie nicht so genau, aber dieses boshafte Neonlicht in Micks Bad hatte die Eigenschaft, jede Falte einzeln nachzuzeichnen. Was, wenn sie Mick klar machen musste, dass ein Baby für ihn vielleicht eine gute Idee war, aber nicht für sie, die schon einen erwachsenen Sohn hatte und für die das Thema längst abgehakt war? Clara spuckte den Schaum ins Waschbecken und spülte sich den Mund aus. Dann wusch sie sich das Gesicht so lange mit eiskaltem Wasser, bis es die Farbe eines frisch gesottenen Krebses angenommen hatte, und begann, mit feuchten Fingern ihre krausen Haare zu entwirren.
     
    Der Morgen war bitterkalt. Aus den U-Bahn-Schächten stieg weißer Dampf, und Clara spürte nach wenigen Schritten ihre Nasenspitze nicht mehr. Elise drückte sich immer wieder zwischen ihre Beine, sodass Clara mehrmals ins Stolpern kam und die Dogge endlich fluchend eine Armlänge von sich schob. »Als ob es wärmer würde, wenn du mir zwischen die Füße läufst«, schimpfte sie. An Tagen wie diesem nahm sie sogar ihre Klaustrophobie in Kauf und zwängte sich mit halb geschlossenen Augen und so ruhig atmend wie möglich in eine vollbesetzte U-Bahn. Ihre Angstanfälle in solchen Situationen hatten seit dem letzten Jahr erheblich abgenommen, als sie sich im Zusammenhang mit einem dramatischen Fall mehr oder weniger freiwillig einer Schockbehandlung in Sachen Panikattacken unterzogen hatte. Seitdem konnte sie besser damit umgehen. Trotzdem gehörten U-Bahnen, Aufzüge und sonstige enge Räume mit vielen Menschen darin
noch immer nicht zu den Orten, an denen sie sich gerne aufhielt.
     
    Bei Rita war es warm und roch nach Kaffee und Gebäck, und Rita, mit frisch blondierten Haaren, im Rollkragenpullover und in Stiefeln zum üblichen, kurzen, engen Rock, winkte ihr freundlich zu. Der einzige Wermutstropfen war das Rauchverbot. Clara vermisste ihre Morgenzigarette zum Cappuccino schmerzlicher als jede andere Zigarette des Tages, und sie weigerte sich aus Prinzip, sich zum Rauchen auf die Straße zu stellen. Die Folge war ein erheblich eingeschränkter Zigarettenkonsum und eine leicht gereizte Stimmung, die zu bekämpfen sich Clara zwar redlich bemühte, was ihr jedoch nicht immer gelang. Heute ganz besonders nicht. Missmutig zerpflückte sie die Serviette, auf der ihr Croissant und das von Elise gelegen hatte, zu kleinen Kügelchen und kämpfte mit sich. In die Kanzlei hinübergehen und pünktlich aufsperren oder noch einen Cappuccino trinken? Ohne Zigarette? Zu allem Überdruss war zurzeit nicht nur Mick nicht da, sondern auch Willi Allewelt, Claras Sozius und langjähriger, guter Freund. Er hatte sich zusammen mit Linda, ihrer beider Sekretärin und neuerdings seiner ständigen Begleiterin, zum Skiurlaub verkrümelt. Clara war im Moment also nicht nur zu Hause, sondern auch in der Arbeit allein, was ihre Motivation nicht gerade steigerte. Sie warf einen Blick auf die Uhr: fünf vor halb neun. Also gut, dann eben arbeiten. Einen Vorteil hatte Willis und Lindas Abwesenheit nämlich, Clara konnte überall ungestört rauchen, was sie mit Begeisterung tat. Irgendwo musste sie schließlich dafür sorgen, dass ihr Nikotinspiegel nicht zu sehr abfiel. Auf dem Weg zur Tür fiel ihr noch etwas ein: »Sag mal, Rita, wie wäre es mit einem Coffee to go?«

    Rita starrte sie einen Moment verständnislos an. »To
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