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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge
Autoren: Peter F. Hamilton
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drohte, selbst für ein Wesen mit seinen energistischen Kräften, und er sprang zur Seite. Genau das war sein Fehler. Das zweite Pferd hätte ihn wahrscheinlich verfehlt, wenn er stillgehalten hätte. Statt dessen rannte es frontal in ihn hinein. Das Pferd wieherte panisch und stemmte die Vorderbeine in den Boden, doch sein eigenes Gewicht riß es gnadenlos weiter. Der Ritter wurde seitwärts weggeschleudert und überschlug sich in der Luft. Er landete schlaff auf dem gepflasterten Boden und hüpfte einen vollen Fuß in die Höhe, bevor er still liegen blieb. Seine Rüstung löste sich augenblicklich in Luft auf, und darunter kam Grant Kavanagh noch immer in seiner Milizuniform zum Vorschein. Der Stoff war an zahllosen Stellen zerrissen und rotgefleckt vom Blut, das aus tiefen Wunden spritzte.
    Louise ächzte und zügelte instinktiv ihren Hengst. Daddy war verletzt!
    Doch das heftige Bluten hörte rasch wieder auf. Tiefe Fleischwunden schlossen sich vor Louises ungläubigen Augen. Die Uniform nähte sich wie von Geisterhand zusammen, und aus den staubigen, zerkratzten Lederstiefeln wurden spitze Panzerschuhe aus Metall. Die Gestalt schüttelte den Kopf und grunzte verärgert.
    Louise starrte auf das Wesen, während es sich langsam auf die Ellbogen stemmte, dann gab sie ihrem Pferd die Sporen.
    »Daddy!« kreischte Genevieve voller Qual.
    »Das ist nicht Vater«, sagte Louise zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Nicht mehr. Das ist jemand anderes. Ein Monster, das der Teufel persönlich geschickt hat.«
    Rachel Handley stand im geschwungenen Torbogen, der den Eingang zum Hof bildete. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt, und ihre schlangenartigen Locken hatten sich erregt aufgerichtet. »Netter Versuch«, lachte sie höhnisch. Sie hob eine Hand und richtete sie auf die beiden Schwestern. An ihrem Handgelenk entzündete sich dieses schreckliche weiße Feuer, und geisterhafte Krallen zuckten von ihren Fingern nach außen. Ihr Lachen wurde noch lauter und übertönte sogar Merlins unglückliches Bellen, als sie Louises Entsetzen bemerkte.
    Der Kugelblitz aus weißem Feuer, der Rachel einen Zoll über dem linken Auge traf, kam von irgendwo hinter Louise. Er fraß sich schnurstracks durch den Schädel der Dienstmagd und detonierte mitten in ihrem Gehirn. Ihr Hinterkopf flog in einem Schwall aus grauem Brei und erstickenden violetten Flammen auseinander. Rachels Körper hielt sich noch ein, zwei Sekunden aufrecht, dann zuckten die Muskeln ein letztes Mal, bevor sie wie ein gefällter Baum nach vorne kippte. Helles arterielles Blut sprudelte pulsierend aus der zerstörten, rauchenden Schädelbasis.
    Louise drehte sich um. Der Hof war leer bis auf die benebelte Gestalt ihres Vaters, die sich noch immer auf die Beine mühte. Hundert leere Fenster starrten auf sie herab. Schwache Schreie hallten über die Dächer. Aus dem weit offenen Tor des Stalls zuckten laut knisternde Flammenzungen.
    Genevieve hatte wieder angefangen zu zittern und erlitt einen Weinkrampf. Die Sorge um ihre kleine Schwester überflügelte schließlich die hilflose Verwirrung, die von Louise Besitz ergriffen hatte. Einmal mehr gab sie dem Hengst die Sporen und lenkte das Tier um den abscheulich zugerichteten Leichnam herum und durch das weite Hoftor nach draußen.
     
    Hinter dem Fenster der Gästesuite im zweiten Stock des Herrenhauses beobachtete Quinn Dexter, wie die jungen Schwestern auf dem prächtigen Hengst über den Rasen und in Richtung der Hochebenen davonjagten, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her. Nicht einmal Quinns furchtbare energistische Kräfte konnten sie auf diese Entfernung noch erreichen.
    Quinn schürzte unzufrieden die Lippen. Irgend jemand hatte den beiden geholfen. Er konnte sich keinen Grund dafür denken; der Verräter mußte schließlich wissen, daß sie nicht ungestraft davonkommen würden. Gottes Bruder sieht alles. Eines Tages würde jede Seele zur Rechenschaft gezogen werden.
    »Natürlich«, sagte er. »Sie reiten in Richtung Colsterworth. Aber damit verzögern sie das Unausweichliche nur für ein paar Stunden, das ist alles. Der größte Teil dieser erbärmlichen kleinen Stadt gehört längst uns.«
    »Ja, Quinn«, sagte der Knabe hinter ihm.
    »Und bald gehört uns die ganze Welt«, murmelte Quinn. Und was dann?
    Er wandte sich um und lächelte hochmütig. »Es ist schön, dich wiederzusehen. Ich hätte nie gedacht, daß das eines Tages geschehen könnte. Gottes Bruder hat offenbar
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