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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge
Autoren: Peter F. Hamilton
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1. Kapitel
     
    Es schien Louise Kavanagh, als dauerte die furchtbare Hitze des Mittsommers schon endlose monotone Wochen und nicht nur die vier Duke-Tage seit dem letzten schwachen Regenschauer. Teufelsküchenluft nannten die alten Weiber auf dem Land diese entsetzliche, stille Hitze, die auf den Hochebenen lastete. Sie war wie gemacht für Louises Stimmung. Louise fühlte in jenen Tagen kaum etwas. Das Schicksal hatte ihr offenbar auferlegt, die wachen Stunden mit nichts als Warten zu verbringen.
    Angeblich wartete sie auf ihren Vater Grant, der die Miliz von Stoke County nach Boston geführt hatte, um dort bei der Niederschlagung eines von der Demokratischen Landarbeitergewerkschaft angezettelten Aufstands zu helfen. Als Grant das letzte Mal zu Hause angerufen hatte, vor drei Tagen, hatte er in kurzen, grimmigen Worten mitgeteilt, daß die Lage doch noch schlimmer war, als der Lord Lieutenant ihn hatte glauben machen. Seither sorgte sich Louises Mutter halb zu Tode. Was bedeutete, daß Louise und ihre Schwester Genevieve verstohlen wie Mäuse durch Cricklade Manor schleichen mußten, nur um Mutters Laune nicht noch zu verschlimmern.
    Seither hatte es keine Nachricht mehr gegeben. Weder von Vater noch von sonst jemandem bei der Miliz. Das Land knisterte natürlich nur so von Gerüchten. Von schrecklichen Schlachten und unglaublichen Greueltaten seitens der Aufständischen. Louise bemühte sich nach Kräften, die Ohren davor zu verschließen, fest überzeugt, daß es sich nur um bösartige Propaganda handeln konnte, verbreitet von Sympathisanten der Gewerkschaft. Niemand wußte, was wirklich vor sich ging. Was Stoke County betraf, so hätte Boston genausogut auf einem anderen Planeten liegen können. Selbst die nichtssagenden Meldungen in den abendlichen Nachrichtensendungen, in denen von ›Unruhen‹ die Rede war, waren ausgeblieben, seit die Milizen die Stadt eingekesselt hatten. Zensiert durch die Regierung.
    Sie konnten nichts weiter tun außer hilflos auf den Sieg der Milizen zu warten, der ganz ohne Zweifel nur eine Frage der Zeit war.
    Louise und Genevieve hatten einen weiteren Morgen damit verbracht, ziellos im Haus umherzustreifen. Es war gar nicht leicht; einfach herumzusitzen und nichts zu tun war so unglaublich langweilig, doch falls sie die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zogen, würde man sie mit niederen häuslichen Aufgaben betrauen. Nachdem alle jungen Männer weg waren, hatten die Mägde und die alten Diener alle Hände voll zu tun, um das weitläufige Gebäude in Ordnung zu halten. Und die Farmbetriebe draußen im Umland mit ihren ausgedünnten Mannschaften aus Arbeitern hingen bestürzend weit hinter den Vorbereitungen für die zweite Getreideernte dieses Sommers zurück.
    Gegen Mittag hielt Louise die Langeweile nicht mehr länger aus und schlug vor, zusammen mit ihrer Schwester auszureiten. Sie mußten die Tiere selbst satteln, doch das war die Sache wert, um dem großen, leeren Haus für ein paar Stunden zu entkommen.
    Louises Pferd suchte sich behutsam seinen Weg über den harten Boden. Die Hitze von Dukes Strahlen hatten den Boden austrocknen lassen und mit einem Netzwerk aus Spalten und Rissen überzogen. Die einheimischen Pflanzen, die alle genau zur Mittsommerzeit geblüht hatten, waren inzwischen längst verwelkt. Wo noch zehn Tage zuvor das Grasland mit wunderschönen pinkfarbenen und gelben Sternen übersät gewesen war, bedeckten nun kleine verschrumpelte Blütenblätter den Boden wie Herbstlaub. In manchen Senken hatten sie sich wie Wanderdünen angesammelt und lagen einen Fuß hoch.
    »Warum eigentlich glaubst du, daß die Gewerkschaft uns so sehr haßt?« fragte Genevieve nörgelnd. »Nur weil Daddy manchmal aus der Haut fährt, heißt das noch lange nicht, daß er ein böser Mensch ist.«
    Louise schenkte ihrer jüngeren Schwester ein mitfühlendes Lächeln. Jeder sagte, wie sehr sie sich ähnlich sahen, Zwillinge, die vier Jahre auseinander geboren worden waren. Und Louise hatte manchmal tatsächlich das Gefühl, als blickte sie in einen Spiegel; die gleichen Gesichtszüge, das gleiche dicke schwarze Haar, die zierliche Nase, die beinahe orientalischen Augen. Aber kleiner noch, und ein gutes Stück kindlicher. Und jetzt in diesem Augenblick niedergeschlagen und traurig.
    Genevieve hatte in der letzten Woche sehr auf die Stimmungen ihrer großen Schwester geachtet und nichts gesagt, das die unerklärliche Gereiztheit von Louise vielleicht noch mehr verstärkt
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