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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge
Autoren: Peter F. Hamilton
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erstreckte sich über den Boden eines zwei Meilen langen, flachen Tals. Durch das Tal verlief ein Fluß mit einer Eisenbahnbrücke. Es war eine verschlafene kleine Marktstadt mit Reihen um Reihen hübscher Häuser, die sich inmitten kleiner, gepflegter Gärten terrassenförmig an den Hängen entlang zogen. Die größeren Häuser der einflußreichen Familien befanden sich auf der Ostseite des Tals, von wo aus man den besten Ausblick auf die Landschaft genoß. Unten am Fluß erstreckte sich ein Industriegebiet aus Lagerhäusern und kleinen Fabriken entlang den Kais.
    Drei dunkle Rauchsäulen stiegen im Zentrum der Stadt in die Höhe. Eine davon entsprang einem heftigen Feuer aus sehr hellen Flammen. Was auch immer das für ein Gebäude gewesen sein mochte, es glühte weiß wie geschmolzenes Eisen.
    »O nein!« stöhnte Louise. »Nicht hier auch noch!« Während sie hinsah, trieb ein Leichter über den Fluß und an den Lagerhäusern vorbei. Seine Decks standen in hellen Flammen, und unter den Planen, mit denen die Fracht abgedeckt war, quoll dunkelbrauner Rauch hervor. Louise schätzte, daß die Fässer an Bord jeden Augenblick explodieren würden. Sie sah, wie die Besatzung ins Wasser sprang und zu den Ufern schwamm.
    »Und was nun?« fragte Genevieve in kummervollem Ton.
    »Laß mich nachdenken.« Bis zu diesem Zeitpunkt war Louise nicht in den Sinn gekommen, daß noch ein anderer Ort außer Cricklade betroffen sein könnte. Aber selbstverständlich hatten ihr Vater und dieser unheimliche junge Priester zuerst in Colsterworth Halt gemacht. Und davor … Ein Schauer wie im eisigsten Mittwinter kroch ihre Wirbelsäule hinauf. Hatte das alles vielleicht in Boston seinen Anfang genommen? Jeder wußte, daß ein Aufstand weit über das hinausging, wozu die Gewerkschaft imstande war. Planten diese Dämonen in Menschengestalt etwa, die gesamte Insel zu erobern?
    Und wenn ja – wohin sollen wir dann fliehen?
    Louise erblickte unten am Rand der Stadt einen Zigeunerwagen, der mit beträchtlicher Geschwindigkeit über die Straßen fuhr. Die Fahrerin, eine Frau in einem weißen Kleid, stand auf dem Kutschbock und peitschte das schwere Zugpferd zu immer neuen Höchstleistungen.
    »Sie flieht!« rief Genevieve. »Also haben sie die Frau noch nicht in ihrer Gewalt!«
    Die Feststellung, daß sie sich einer Erwachsenen anschließen konnten, die auf ihrer Seite stand, war wie Balsam für Louises Gemüt. Selbst wenn es nur eine einfache Zigeunerin ist, dachte sie herzlos. Andererseits – kannten Zigeuner sich nicht aus in Magie? Das Hauspersonal daheim in Cricklade hatte immer erzählt, daß die Zigeuner alle möglichen finsteren Künste ausübten. Vielleicht wußte die Frau sogar, wie man diese Teufel abwehren konnte?
    Louise folgte dem Verlauf der Straße vor dem rasenden Zigeunerwagen und versuchte sich auszurechnen, wo sie ihn am besten abfangen konnte. Der Wagen hatte die Häuser hinter sich gelassen, doch eine Dreiviertel Meile weiter stand eine größere Farm.
    Verängstigte Tiere jagten aus den offenen Gattern auf die Wiesen und Weiden hinaus: Schweine, Färsen, drei mächtige Kaltblutpferde und ein Labrador. Hinter den Fenstern des Hauses zuckten helle Blitze aus blau-weißem Feuer, die im Licht des purpurnen Himmels schmerzend blendeten.
    »Sie hält direkt auf die Farm zu!« stöhnte Louise. Als ihr Blick wieder zurück zu dem fliehenden Gespann wanderte, hatte es gerade die Stadtgrenze von Colsterworth hinter sich gelassen. Und das Farmhaus war von der Straße aus wegen der vielen Bäume nicht zu sehen.
    Louise schätzte die Entfernung bis zur Straße und schnalzte mit den Zügeln. »Halt dich fest!« rief sie ihrer jüngeren Schwester zu. Der Hengst schoß vor, und das dunkelrote Gras schien unter seinen wirbelnden Hufen zu verschwimmen. Das prächtige Tier setzte ohne merkliche Verlangsamung seines Tempos über die erste Hecke hinweg, und Louise und Genevieve prallten mit den Hinterteilen hart auf den Rücken des Tiers. Das jüngere Mädchen gab einen Schmerzenslaut von sich.
    Auf der Straße hinter dem Zigeunerwagen war inzwischen eine höhnisch rufende Menschenmenge aufgetaucht und verharrte zwischen den beiden kleinen Silberbirkenhainen, die offiziell die Stadtgrenze markierten. Es schien fast, als wären sie unwillig – oder sogar außerstande – sich draußen über das freie Feld zu bewegen. Mehrere weiße Kugelblitze wurden dem fliehenden Wagen hinterhergeschleudert, glitzernde Sterne, die nach ein paar hundert
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