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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge
Autoren: Peter F. Hamilton
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Metern verblaßten.
    Louise hätte vor lauter Frustration am liebsten geweint, als sie sah, wie Menschen aus dem Farmhaus traten und sich die Straße hinab in Richtung Colsterworth in Bewegung setzten. Die Zigeunerfrau ahnte noch immer nichts von der Gefahr, die vor ihr lauerte.
    »Los, schrei!« rief sie Genevieve zu. »Wir müssen sie aufhalten!«
    Die letzten dreihundert Yards schrien sie sich die Kehle aus dem Leib.
    Ohne Erfolg. Sie waren dem Gespann nahe genug, um den Schaum vor den Nüstern des stämmigen Schecken zu sehen, als die Zigeunerin sie endlich bemerkte. Selbst dann hielt sie nicht an, wenngleich sie die Zügel straffte. Das gewaltige Kaltblut verlangsamte seinen panischen Galopp zu einem kräfteschonenderen Traben.
    Der schwarze Hengst setzte in einem gewaltigen Sprung über die Hecke und den Graben hinweg, die längs der Straße verliefen. Louise riß die Zügel herum und paßte ihre Geschwindigkeit der des Wagens an. Aus dem Innern des bunt bemalten hölzernen Aufbaus drang ein gewaltiges Klappern und Scheppern, als würden böswillige Clowns mit sämtlichen Töpfen und Pfannen gleichzeitig jonglieren.
    Die Zigeunerfrau besaß langes schwarzes Haar, das bis weit in den Rücken reichte, und ein dunkles Gesicht mit vorstehenden Wangenknochen. Ihr weißes Leinenkleid war fleckig vom Schweiß. Wilde, herausfordernde Augen starrten die beiden Schwestern an, und sie machte ein seltsames Zeichen in der Luft.
    Ein Zauberspruch? überlegte Louise. »Anhalten!« bettelte sie. »Bitte halten Sie an! Sie sind bereits vor Ihnen! Dort gibt es ein Farmhaus! Sehen Sie!«
    Die Zigeunerin stellte sich auf die Zehenspitzen und suchte die Gegend vor dem auf und ab tanzenden Kopf des Kaltblüters ab. Bis zum Farmhaus war es vielleicht noch eine Viertelmeile, doch Louise hatte die Leute aus den Augen verloren, die hinausgekommen waren.
    »Woher wollen Sie das wissen?« rief die Frau.
    »So halten Sie doch endlich an!« kreischte Genevieve. Sie ballte die kleinen Fäuste.
    Carmitha musterte Louises jüngere Schwester und rang sich zu einer Entscheidung durch. Sie nickte und zügelte das Pferd.
    Die Vorderachse des Wagens barst mit einem gewaltigen knirschenden Krachen.
    Carmitha fand eben genügend Zeit, sich am Rahmen festzuhalten, als der gesamte Wagen sich nach vorn und zur Seite neigte.
    Funken stoben darunter hervor, als die ganze Welt zu kippen schien. Es gab ein letztes lautes Knirschen, und der Wagen stand. Eines der Vorderräder rollte an Olivier vorbei, dem Zugtier, und dann in den trockenen Graben am Straßenrand.
    »Scheiße!« Sie funkelte die beiden Mädchen auf dem großen schwarzen Hengst wütend an und musterte ihre rußgefleckten weißen Hemden und die tränenverschmierten Gesichter. Das war ihr Werk, kein Zweifel.
    Einen Augenblick lang hatte Carmitha geglaubt, sie seien rein, aber es gab einfach keine Möglichkeit, das zu erkennen. Nicht hier und jetzt. Die Wanderungen ihrer Großmutter durch die spirituelle Welt waren nichts weiter als Ammenmärchen gewesen, um kleine Kinder zu erfreuen oder zu erschrecken, je nachdem. Trotzdem erinnerte sie sich an einige Worte der alten Frau. Sie hob die Hände und rezitierte den Sprechgesang.
    »Was machen Sie denn da?« schrie das ältere der beiden Mädchen von seinem Hengst herab. »Wir müssen von hier verschwinden, und zwar schnell!«
    Carmitha runzelte verwirrt die Stirn. Die beiden Mädchen sahen zu Tode verängstigt aus … als hätten sie einen Bruchteil dessen gesehen, was Carmitha erlebt hatte. Vielleicht waren sie ja doch unbefleckt. Aber wenn nicht sie es gewesen waren, die Carmithas Wagen beschädigt hatten, dann …
    Carmitha hörte ein Kichern und wirbelte herum. Der Mann trat genau in diesem Augenblick aus dem Baum auf der anderen Seite der Straße, hinter dem Graben – buchstäblich aus dem Baum. Die Maserung der Rinde verblaßte noch, und eine höchst eigenartige grüne Uniform wurde sichtbar; Arme aus jadefarbener Seide, ein Wams aus hellgrüner Wolle mit dicken Messingknöpfen auf der Vorderseite und ein unglaublich spitzer Filzhut mit ein paar weißen Federn darin.
    »Wohin des Weges, hübsche Damen?« Er verneigte sich tief und zog den Hut.
    Carmitha blinzelte. Seine Kleidung war tatsächlich grün, und das war vollkommen unmöglich, nicht bei diesem Licht! »Reitet weg!« rief sie den beiden Mädchen zu. »Flieht!«
    »O nein«, sagte der Mann mit indignierter Stimme wie ein Gastgeber, dessen Großzügigkeit abgelehnt worden war. »Bitte
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