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Seelengesaenge

Seelengesaenge

Titel: Seelengesaenge
Autoren: Peter F. Hamilton
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mit ihrem Muster. Die eingelassenen Glühlampen an der Decke gaben nur ein schwaches gelbliches Licht von sich und summten und knisterten gefährlich.
    »Niemand in der Nähe«, sagte Louise.
    Die beiden Schwestern huschten auf den breiten Gang und schlossen hinter sich leise die Tür. Vorsichtig schlichen sie in Richtung des Boudoirs ihrer Mutter.
    Ein schwacher Schrei ertönte; Louise konnte nicht ausmachen, woher er kam. Jedenfalls war es nicht in der Nähe gewesen, Gott sei Dank.
    »Komm, wir gehen zurück«, bettelte Genevieve. »Bitte, Louise. Mami denkt, daß wir im Stall sind. Sie wird bestimmt nach uns suchen.«
    »Wir sehen nur kurz nach, ob sie hier ist. Wenn nicht, gehen wir auf dem kürzesten Weg zurück.«
    Wieder erklang der gequälte Schrei, diesmal noch leiser als zuvor.
    Die Tür zum Boudoir lag zwanzig Yards entfernt. Louise nahm all ihren Mut zusammen und ging einen Schritt darauf zu.
    »O Gott, nein! Nein, nein, nein! Hör auf! Grant, um Himmels willen, hilf mir!«
    Louise blieb stocksteif vor Schreck stehen. Das war die Stimme ihrer Mutter – Mutters Schrei! – der hinter der Tür ihres Zimmers erklungen war!
    »Grant, nein! O nein, bitte nicht! Aufhören!« Ein langgezogener, schriller Schmerzensschrei schloß sich daran an.
    Genevieve klammerte sich voller Angst an ihre größere Schwester und gab leise wimmernde Laute von sich. Die Glühlampen an der Decke über der Boudoirtür wurden heller. In Sekundenschnelle erstrahlten sie heller als Duke um die Mittagszeit. Beide zerplatzten mit einem leisen Popp!, und Schauer aus milchigen Splittern regneten klimpernd auf die Teppiche und das Parkett herab.
    Marjorie Kavanagh schrie erneut.
    »Mami!« heulte Genevieve auf.
    Marjorie Kavanaghs Schrei brach ab. Hinter der Tür erklang ein unterdrücktes, unidentifizierbares Geräusch. Dann: »LAUF! LAUF, LIEBES! LAUF WEG, SOFORT!«
    Louise stolperte bereits rückwärts in Richtung der verborgenen Tür, die zu der Wendeltreppe führte, und zerrte eine sich sträubende, schluchzende Genevieve hinter sich her. Plötzlich ertönte von der Tür des Boudoirs ein heftiger Schlag, Holz splitterte, und die Tür flog auf. Blendend grelles grünes Licht fiel in den Flur und warf spinnenartige Schatten, die größer wurden und sich rasch verdichteten.
    Zwei Gestalten traten auf den Gang hinaus.
    Louise stöhnte auf. Es war Rachel Handley, eine der Hausmägde. Sie sah aus wie immer – bis auf das Haar. Es leuchtete ziegelsteinrot, und die Strähnen schienen lebendig zu sein. Sie ringelten sich in langsamen, zähen Bewegungen umeinander.
    Die zweite Gestalt gehörte Daddy. Er trug noch immer seine Milizuniform und trat neben die stämmige Magd. Auf seinem Gesicht stand ein fremdes, verächtliches Grinsen.
    »Komm zu Daddy, Baby«, grollte er freundlich und trat einen Schritt auf Louise zu.
    Louise stand wie angewurzelt und fand kaum genügend Kraft, hoffnungslos den Kopf zu schütteln. Genevieve war auf die Knie gesunken. Sie zitterte am ganzen Leib und stotterte zusammenhangloses Zeug.
    »Komm schon, Kleines!« Seine Stimme war zu einem zärtlichen Flüstern gesunken.
    Louise brachte es nicht fertig, das Schluchzen zu unterdrücken, das sich ihrer Kehle entrang. Dann wuchs es an zu einem irrsinnigen Schrei, der kein Ende mehr nehmen wollte.
    Grant Kavanagh lachte freudig. Hinter ihm und Rachel bewegte sich ein Schatten in dem grünen Lichtschein.
    Louise war so betäubt, daß sie nicht einmal mehr einen Überraschungsschrei zustande brachte. Es war Mrs. Chalsworth, ihre Nanny. Tyrannische Ersatzmutter, Vertraute und Verräterin in einer Person. Eine rundliche Frau mittleren Alters mit vorzeitig ergrautem Haar und einem mürrischen Gesicht, dessen herber Eindruck von Hunderten von Fältchen gemildert wurde. Sie stach mit einer Stricknadel nach Grant Kavanagh und zielte direkt auf sein linkes Auge. »Laß meine Mädchen in Ruhe, du elender Dämon!« rief sie außer sich vor Zorn.
    Louise erinnerte sich später nicht mehr so genau, was als nächstes geschehen war. Blut und winzige Bälle aus weißem Licht. Rachel Handley, die einen hellen Schrei ausstieß. Glassplitter, die auf der halben Länge des Korridors von den Ölgemälden an den Wänden auf Parkett und Teppiche prasselten, als die blendend weißen Blitze durch den Gang zuckten.
    Louise preßte die Hände auf die Ohren, als Mrs. Handleys Schrei ihre Trommelfelle bis zum Zerreißen belastete. Die Blitze erstarben. Als Louise den Blick wieder hob, stand dort
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