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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband
Autoren: E Zeißler
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sie ging wieder in ihr Zimmer, um den besorgten Fragen zu entkommen. Sie wusste, dass sie sich Sorgen um sie machten, aber sie konnte ihnen nicht helfen. Nicht einmal ihnen zuliebe hätte sie vortäuschen können, irgendetwas in ihrem Leben wäre noch in Ordnung. Immerhin trank sie die Tasse Brühe, die ihre Mutter ihr brachte. Nicht, weil sie sie gewollt hatte, sondern weil ihre Mutter sie ansonsten nicht allein gelassen hätte.
Als es Abend wurde, kroch Valerie, ohne sich umzuziehen, wieder in ihr Bett und schloss die Augen. Sie hatte Angst, dass der Alptraum wieder kommen würde, aber noch mehr graute es ihr vor dem nächsten Tag und dem Tag danach und dem danach, die nicht anders sein würden als der vergangene - ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab.

Sie träumte wieder, sie würde fallen, in eine immer enger werdende Spirale aus Dunkelheit und Leere hinab gezogen werden, aus der es kein Entrinnen für sie gab.
Doch plötzlich spürte sie etwas, eine Wärme, eine Präsenz, die ihr Orientierung gab. Wie eine Motte zum Licht wurde Valerie dorthin gezogen. Und schließlich fand sie sie - eine kleine Blase voll Licht, inmitten der Finsternis. Eine Blase, in der John auf sie wartete.
Er ist noch am Leben! war Valeries erster Gedanke. Er nutzt die mentale Brücke, um mir zu helfen, ihr zweiter. Dankbar flog sie auf ihn zu, um in seiner Wärme und Liebe zu baden, auch wenn sie wusste, dass der Trost, den er ihr jetzt spendete, das Aufwachen und den nächsten Tag noch viel schlimmer machen würde. Doch sie konnte nicht widerstehen. Es war einfach zu schön, wieder seine Gegenwart zu spüren.
"Es tut mir so leid, Valerie", sagte der Traum-John. "Alles, was ich dir angetan habe. Ich habe das nicht gewollt."
"Ich weiß", fuhr Valerie ihm sanft über den Mund. "Ist schon gut, das weiß ich doch."
"Du musst aufwachen, Valerie", sagte er dann.
"Nein!" schrie sie erschrocken und klammerte sich an ihn. "Verlass mich nicht. Noch nicht!"
"Wach auf, Valerie."
"Ich will nicht. Ich will für immer hier bleiben, hier, an diesem Ort."
"Valerie!" Sein Ton wurde drängend und sie hörte noch etwas anderes in seiner Stimme. Angst? "Du musst aufwachen, hörst du? Du musst hier weg."
"Ich werde dich nicht verlassen", beharrte sie trotzig.
"Aber ich muss auch fort von hier."
"Nein!" Entsetzen stieg in ihr auf und sie spürte, wie die Kälte durch die schützende Blase seiner Gegenwart hindurch wieder nach ihr griff. Sie schrie auf vor Schmerz und Enttäuschung.
"Valerie!" rief der Traum-John und dieses Mal war die Panik in seiner Stimmer unüberhörbar. "Wach auf!"
"Nein!" Das konnte er nicht von ihr verlangen. Nicht, wenn in der realen Welt nur Schmerz und Trauer auf sie warteten. Sie spürte, wie sie aus der hellen Blase, die John geschaffen hatte, hinaus glitt und wieder in den schwarzen Strudel gezogen wurde. Sie seufzte resigniert. Auch das war immer noch besser, als aufzuwachen. Hier könnte sie vielleicht irgendwann das Vergessen finden, das ihr ansonsten verwehrt blieb.
"Valerie!" schrie der Traum-John verzweifelt und jagte ihr hinterher. Doch sie war schneller und er blieb zurück, sein Licht wurde immer schwächer und schwächer.
Valerie ließ sich einfach nur noch fallen, sie hatte keine Kraft mehr, gegen irgendetwas anzukämpfen.
"Valerie, verlass mich nicht!" gellte Johns Schrei in ihren Ohren und der Schmerz darin rüttelte sie plötzlich auf. Sie wollte ihn trösten, bei ihm sein, sich zumindest noch ein letztes Mal von ihm verabschieden, bevor sie sich der tröstenden Leere übergab. Sie begann, wieder gegen den Strudel anzukämpfen, und es gelang ihr, sich ein wenig nach oben zu arbeiten. Sie hatte geglaubt, John dadurch erreichen zu können, doch anscheinend war er weiter weg, als sie gedacht hatte. Sie bemühte sich, immer höher zu steigen, doch er tanzte immer knapp außerhalb ihrer Reichweite. Hätte er sie dabei nicht immer wieder gerufen, mit dieser Mischung aus Angst, Schmerz und Liebe in der Stimme, die ihr Herz so tief berührte, sie hätte die Verfolgung frustriert aufgegeben. Und auch so schwand ihre Kraft und sie blickte beinah wütend zu Johns Traumgestalt, die vor ihr zu fliehen schien, anstatt sich ihr zu nähern.
Plötzlich wurde Johns Licht schwächer und Valerie hielt erschrocken inne. Dann erkannte sie, dass nicht er verblasst war, sondern dass die Finsternis um sie herum allmählich heller wurde. Mit letzter Kraft stemmte Valerie sich hoch und plötzlich hielt John sie in seinen Armen und presste
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