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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband
Autoren: E Zeißler
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sie zuerst, das Mädchen wäre aufgewacht und aus dem Auto geklettert, um nach ihr und ihrem Vater zu suchen. Hilflos blickte Valerie sich um. Sie lief ein wenig in die eine und in die andere Richtung, konnte aber keine Spur von Nalla entdecken. Tief innen wusste sie, wie hoffnungslos ihre Suche war. Wusste, dass ein Mädchen wie Nalla sofort gespürt hätte, wo Valerie und ihr Vater sich aufhielten, dass sie nicht ziellos umhergeirrt wäre.
Und doch weigerte sich Valerie, ihre Suche aufzugeben. Denn das hätte bedeutet, sich damit abzufinden, dass sie nach John auch Nalla verloren hatte, dass ihr nun wirklich nichts mehr geblieben war.
Als sie es sich schließlich eingestand, hatte sie nicht einmal mehr Tränen. Sie wollte sich einfach nur irgendwo verkriechen, wo sie nichts fühlen konnte und nicht denken musste, sich am liebsten im Nichts auflösen, um ihrem furchtbaren Schmerz zu entkommen.
Doch stattdessen setzte sie sich auf den Fahrersitz und startete den Wagen. Wie in Trance fuhr Valerie zu ihren Eltern zurück. Es war erst eine knappe Stunde her, dass sie diesen Weg gefahren war, doch wie viel hatte sich seit dem verändert.
Als sie den Wagen vor dem Haus zum Stehen brachte, liefen ihre Eltern besorgt nach draußen. "Wo warst du?" rief ihre Mutter. "Was ist passiert?" fragte ihr Vater.
Langsam stieg Valerie aus dem Auto aus. "Tut mir leid, dass ich einfach so weggefahren bin."
"Wo sind John und Nalla?"
"Fort", antwortete Valerie tonlos und ging ins Haus.
"Was heißt
    fort
? Habt ihr euch gestritten?"
"Nein. Er ist einfach nur weg", erwiderte sie und ihre Stimme brach. Plötzlich traten ihr wieder Tränen in die Augen. "Er kommt nicht wieder zurück." Ohne noch etwas hinzuzufügen, drängte sie sich an ihren Eltern vorbei.
"Valerie, warte!" rief ihre Mutter, doch sie ignorierte das. Mit tränenverschleiertem Blick stolperte sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
"Valerie!" rief ihre Mutter erneut. Und bevor Valerie ihre Zimmertür hinter sich schloss, hörte sie die leise Stimme ihres Vaters "Lass sie", sagen. Dann fiel die Tür hinter ihr zu und sie war allein. Völlig allein. So, wie sie für den Rest ihres Lebens nun sein würde.
Kraftlos ließ sie sich auf ihr Bett fallen und rollte sich zu einem Ball zusammen. Sie umschloss ihre Knie mit den Händen und zog sie eng an ihre Brust. Sie wiegte sich leicht hin und her, während hysterische Schluchzer ihren gesamten Körper erschütterten. Bis sie irgendwann keine Kraft mehr hatte, sich über ihren ungeheuren Verlust zu grämen, und in einen erschöpften, unruhigen Schlaf herüber glitt.
Sie träumte, sie würde in einen Abgrund fallen, ein unendlich tiefes schwarzes Loch, aus dem es für sie kein Entrinnen gab. Sie fiel und fiel, bis sie völlig von Finsternis umgeben war, bis sie nicht einmal mehr hoch über sich das Licht erkennen konnte, von dem sie wusste, dass es einmal dort gewesen war. Sie fiel so lange, bis sie nicht einmal mehr wusste, wo oben und wo unten war, sie war von Leere, Kälte, Finsternis und Einsamkeit umgeben. Und sie spürte, wie diese auch ihr Herz und ihre Seele auszufüllen begannen, bis auch in ihr selbst nichts als Kälte und Leere war.
Mit einem Schrei, der namenloses Entsetzen verhieß, wachte Valerie schließlich auf. Sie konnte kaum atmen und ihr Herz tat ihr so unsagbar weh.
So fühlt es sich also an, wenn einem das Herz gebrochen wird, registrierte teilnahmslos ein Teil ihres Verstandes. Sie erhob sich müde. Sie wollte nicht riskieren, diesen Alptraum noch einmal zu erleben.
Die Sonne schien in ihr Zimmer, doch Valerie kam sie ungewöhnlich blass und kraftlos vor. Auch der Himmel schien nicht so blau wie am Vortag zu sein. Alles kam ihr so leblos und unwirklich vor. Wahrscheinlich, weil sie sich selbst leblos und unwirklich fühlte.
Valerie konnte nicht sagen, wie sie den Tag überstanden hatte. Sie verspürte keinen Hunger und keinen Durst, die meiste Zeit saß sie einfach nur am Fenster und starrte stumpf hinaus. Sie wusste, dass sie sich irgendwann würde zusammenreißen müssen, doch sie war noch nicht bereit dazu. Dafür war ihr Verlust noch viel zu frisch. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie sie weiter machen sollte. Das Leben, das ihr vor einigen Monaten noch völlig in Ordnung erschienen war, nicht perfekt, aber auch nicht unerträglich, schien ihr mit einem Mal so unglaublich hohl zu sein. Sie konnte den Gedanken, wieder dorthin zurückzukehren, einfach nicht ertragen.
Irgendwann kamen ihre Eltern nach Hause und
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