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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht
Autoren: D Harkness
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auszuspucken  –, und so stand bald fest, dass die Schule für mich ein Ort war, an dem das magische Erbe meiner Familie keine Rolle spielte. Die letzten Jahre auf der Highschool übersprang ich und ging stattdessen schon mit sechzehn ans College.
    Dort versuchte ich mir zuerst eine Nische in der Theaterklasse zu erobern, weil die Schauspielerei und die farbenprächtigen Kostüme meine Fantasie beflügelten  – und ich fasziniert davon war, wie vollkommen die Worte eines Dramatikers eine andere Zeit und einen anderen Ort heraufbeschwören konnten. Nach meinen ersten Auftritten priesen mich meine Lehrer als Musterbeispiel dafür, wie sich eine ganz gewöhnliche Collegestudentin durch die Schauspielerei in jemand anderen verwandeln konnte. Dass diese Metamorphosen vielleicht nicht allein auf mein schauspielerisches Talent zurückzuführen waren, begann ich erst zu argwöhnen, als ich im Hamlet die Ophelia spielte.
Sobald mir die Rolle zugesprochen worden war, begannen meine Haare so wild zu wachsen, dass sie mir schließlich bis zur Taille reichten. Stundenlang saß ich am Ufer des Teiches beim College, hypnotisch angezogen von der glänzenden Oberfläche, in der sich mein herabströmendes neues Haar spiegelte. Der Junge, der den Hamlet spielte, verfing sich gemeinsam mit mir in dieser Illusion, und es folgte eine leidenschaftliche, aber auch gefährlich explosive Affäre. Ganz allmählich verlor ich mich in Ophelias Wahnsinn und zog dabei das ganze Ensemble mit.
    Infolgedessen gaben wir zwar mitreißende Aufführungen, doch jede neue Rolle brachte neue Gefahren mit sich. Die Situation wurde unhaltbar, als ich in meinem zweiten Jahr am College die Annabella in John Fords Schade, dass sie eine Hure war spielen sollte. Genau wie die Theaterfigur legte ich mir eine Eskorte aus ergebenen Verehrern zu  – nicht ausschließlich menschlicher Natur  –, die mir über den ganzen Campus folgten. Als sie sich weigerten, mich in Frieden zu lassen, als nach der letzten Vorstellung der Vorhang gefallen war, begriff ich, dass ich etwas ändern musste. Zwar verstand ich nicht so recht, wie sich die Magie in meine Schauspielerei eingeschlichen hatte, und wollte es auch gar nicht verstehen. Aber ich schnitt mir die Haare. Ich hörte auf, Blumenröcke und mehrlagige Tops zu tragen, und zog stattdessen die Rollkragenpullover, Khakihosen und Halbschuhe der ernsthaften, ehrgeizigen Jurastudenten an. Meine überschüssige Energie baute ich mit Sport ab.
    Nachdem ich das Theaterspielen aufgegeben hatte, probierte ich mich in anderen Hauptfächern aus, immer auf der Suche nach einer Materie, die so rational war, dass sie der Magie keinen Fußbreit überlassen würde. Für die Mathematik fehlten mir die nötige Geduld und die Genauigkeit, und meine Bemühungen in Biologie endeten in einer Folge von fehlgeschlagenen Versuchen und abgebrochenen Laborexperimenten.
    Am Ende des zweiten Jahres stellte mich der Studienberater vor die Wahl, mich endgültig für einen Studiengang zu entscheiden oder ein fünftes Jahr auf dem College zu verbringen. Ein Sommerstudienprogramm
in England gab mir schließlich Gelegenheit, allem zu entfliehen, was mit irgendwelchen Bishops zu tun hatte. Ich verliebte mich in die Stadt Oxford, in den ruhigen Glanz der morgendlichen Straßen. In meinen Geschichtskursen wurden die Großtaten von Königen und Königinnen abgehandelt, und wenn ich in meinem Kopf Stimmen flüstern hörte, dann stammten sie ausschließlich aus Büchern des sechzehnten oder siebzehnten Jahrhunderts. Und dieses Flüstern war für solche Meisterwerke der Literatur keineswegs ungewöhnlich. Am allerbesten aber war, dass mich niemand in dieser Universitätsstadt kannte und dass alle Hexen, die den Sommer hier verbringen mochten, sich von mir fernhielten. Ich kehrte heim, wählte Geschichte als Hauptstudienfach, belegte in Rekordzeit alle erforderlichen Kurse und schloss noch vor meinem zwanzigsten Geburtstag cum laude ab.
    Als ich beschloss, dem Studium eine Promotion folgen zu lassen, war Oxford die erste Wahl unter den verschiedenen Angeboten. Ich hatte mich mittlerweile auf Wissenschaftsgeschichte spezialisiert, und meine Forschungen konzentrierten sich auf jene Epoche, in der die Naturwissenschaften die Magie verdrängt hatten  – jenes Zeitalter, in dem die Astrologie und die Hexenjagden Newton und seinen Naturgesetzen hatten weichen müssen. Die Suche nach einer rationalen Ordnung in der Natur, die das Übernatürliche ersetzen
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