Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch
Autoren: Isabella Nadolny
Vom Netzwerk:
Fingern durchs Haar fahren, ehe er mir kopfschüttelnd nachblickte. Michael, obwohl ein starker, in sich ruhender Charakter, ging doch lieber Kaffee trinken, solange ich Unterricht hatte. Ich darf jedoch sagen, daß er dem Wagen ohne Abschiedswehmut nachblickte, wenn er ausstieg.
    Das wirklich Komische war, daß ich meine Fahrprüfung glatt bestand, obwohl man mich auf einem unsinnig steilen Berg halten und wieder anfahren ließ. Die Strecke, die man mir vorschrieb, hat allerdings bis heute ein gewisses Odium behalten. (Ich meide Läden, die in dieser Gegend liegen.) Ich nahm meinen Führerschein, schüttelte dem Fahrlehrer und dem Prüfer die Hand und fuhr nach Hause in die Garage. Dort zog ich den Schlüssel ab, nahm einen Kuß von Michael entgegen und berührte das Steuerrad niemals wieder. (Nicht immer kommt der Appetit beim Essen.)
    Wie so viele Frauen übertrug ich die üblen Erfahrungen mit einem Individuum gleich auf die ganze Gattung. Ich fuhr auch Hochwürdens Nachfolger niemals, einen grauen Volkswagen, der wegen seines Buckels vorn und hinten den Namen »Klein-Zack« aus Hoffmanns Erzählungen erhielt. War Hochwürden ein bissiger, übellauniger Mops gewesen, so war Klein-Zack ein Drahthaarterrier. Er schaffte munter schnurrend Kilometer hinter sich, ohne das Bedürfnis nach Ruhepausen zu zeigen. Die Kontakte zwischen Seeham und der Welt wurden enger. So mancher Redakteur erbleichte vor lauter schlechtem Gewissen, nun Michael unvermutet sein Gesicht in fernen Städten zeigte, redete ihn vor Schreck mit »Meister« an und versprach, das unter Papierstößen begrabene Manuskript schleunigst hervorzusuchen. Freunde, die ungünstig wohnten und die man ganz aus dem Gesicht verloren hatte, wurden wieder besucht und alte Beziehungen aufgefrischt. Nächtliche Heimfahrt nach Kunstgenüssen bekamen ihr Abenteuerliches höchstens durch Hinzutreten von Wetterkapriolen. Man konnte in Klein-Zack sogar im Abendkleid fahren, er war warm. (Der ewige Gestank nach warmem Öl rühre daher, erklärte mir Michael, der auch auf Klein-Zack nie etwas kommen ließ, daß die Heizung mit dem Motor zusammenhinge.) Es kostete auch nur wenig mehr Benzin, auf geschäftlichen Fahrten Besichtigungen von Schönem einzubauen. Zum ersten Male lernte ich, die früher immer gemeint hatte, die Schilder für Strickwolle und Sahnebonbons seien auf allen Bahnhöfen die gleichen, das schöne Deutschland wirklich kennen. Doch ach, kein Gefühl der Dankbarkeit erhob sich in meinem verstockten Busen.
    Klein-Zack fuhr, von meinem Hausfrauenstandpunkt aus gesehen, nicht mit Benzin, er fuhr mit meinen Strümpfen, mit Kinobesuchen, mit einem anständigen Mantel, mit der teueren Marmelade, mit allem, was man sich täglich an Versuchungen verkneifen mußte. Er lebte sozusagen über unsere Verhältnisse. Und wehe, wenn er sich erlaubte, auch nur die kleinste Reparatur nötig zu haben! Nichts von der Zärtlichkeit, mit dem Michael ihn wartete und polierte, hatte in mir Platz. Als er just auf einem steilen Paß in Österreich jenes grauenvolle Poltern hören ließ, mit dem die Zähne des Getriebes im Gehäuse herumwirbeln, stieg ich mit dem bitteren (und ungerechten) Satz aus: »Schon wieder! Dieses Biest!« — Alles rechnete ich ihm auf: daß der arme Papa, den wir so schonend zu diesem Ausflug transportiert hatten, nun auf Kleinbahnen durchgeschüttelt wurde, bis er wieder in Seeham bei Dicki war; daß es anfing zu regnen, als Michael und ich auf den Abschleppdienst warteten; ja selbst das Übernachten im Hotel ohne Nachthemd und mit einer frischgekauften Zahnbürste. Gewiß, ein bißchen leid tat er mir schon, als er nun in einer österreichischen Werkstatt aufgebockt und halb ausgeschlachtet dalag, während das Öl wie dunkles Blut aus seinem Bauche rann und von einer Wanne aufgefangen wurde. Passanten, die der Fall gar nichts anging, traten herzu und umstanden ihn teilnahmsvoll, als sei ein Pferd gestürzt. (Es waren übrigens durchweg Männer.) Noch viel mehr leid jedoch tat mir Michael, der bleich und gefaßt war und so sehr betonte, es sei sicher nicht so viel passiert, daß ich daraus schloß, es müsse ziemlich schlimm stehen.
    Selbst bei Männern, die sachlich zu denken imstande sind, scheint das Vertrauen zu einem Wagen mit erneuertem Getriebe nicht mehr sehr ausgeprägt. Sobald es möglich war, gaben wir Klein-Zack gegen einen neuen Volkswagen-Export in Zahlung, der schmuck aussah und den Namen Silberfisch erhielt. Er war der letzte, der mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher