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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch
Autoren: Isabella Nadolny
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Kosenamen angeredet wurde. Von nun an hieß jeder fahrbare Untersatz »der Wagen«, wie bei Lieferanten und Generaldirektoren. Kein Wunder, man kann sich ja nicht andauernd umgewöhnen. (Tante Lina redete ihre rasch wechselnden Dienstmädchen immer mit dem Namen der vorigen, ja vorvorigen an. Auch Tante Lina wäre nur zu gern mit einem dieser Mädchen alt geworden.) Erwägungen, die nichts vom Duft der Ferne, nichts vom Märchenhaften des fliegenden Teppichs mehr hatten, traten selbst beim Gespräch mit mir in den Vordergrund: Wollten wir mit Dicki reisen, so gab es im Volkswagen zwei Möglichkeiten. Entweder saß ich hinten und mir wurde übel, so daß zwischendurch gehalten werden mußte, oder aber Dicki saß hinten und seine ungeheuren Beine drückten uns in den Rücken, beziehungsweise verstellten, hochgezogen, die Aussicht durchs Rückfenster. Konnte doch dieser Heuschreck beinah nicht still sitzen, weil man ihm Gepäck zur Seite geben mußte, das im Kofferraum, wenn wir zu dritt fuhren, keinen Platz mehr fand. Als jene höhere Mathematik des »In-Zahlung-Geben-Müssens-eh-die-Wertminderung-zunimmt-und-die-Reparaturen-anfangen« wieder mal fällig war, die einer Frau so schwer eingeht, stiegen wir auf andere Gebrauchsartikel um. Ob sie nun Opel oder Ford hießen, bewegte nur noch die Männer, wenn sie unter sich waren. Der, den sie gerade gekauft hatten, war immer unvergleichlich besser als der vorige.
    Mich interessierte es nicht. Wir hatten genügend Kofferraum, dafür weniger Tuchfühlung, und Michael schaltete nie mehr versehentlich mit meinem Knie. Auch schenkte diese Art geräumiger und leiser Wagen (sie gehören, fachlich gesprochen, zur Mittelklasse, ich weiß so etwas nie, weder bei Boxern noch bei Autos) Michael jenen geheimnisvollen Aufschwung des Lebensgefühls, den man dem Mann, den man liebt, unbedingt gönnen sollte. In dem Motor steckt etwas mehr Kraft, als man auf freier Strecke braucht, und dadurch kann man unerfreuliche Verkehrsverknotungen schneller hinter sich lassen.
    Was das Lebensgefühl anbelangt: Es soll Frauen geben, deren Empfindungen für den eigenen Wert von dem Automobil abhängen, mit dem sie vorfahren. Ich gehöre nicht dazu. Wer jedoch wie ich mit einer immerwährenden, fast schmerzhaften Angespanntheit geschlagen ist (Schilddrüsenüberfunktion, wird oft mit Temperament verwechselt!), ist froh, am Ende der Fahrt einigermaßen frisch und manövrierfähig auszusteigen und somit Kunstgenüssen oder menschlichen Zusammenrottungen besser gewachsen zu sein. Die neuen Wagen waren jedoch auch ziemlich schnell, fast zu schnell, und Dicki, dem Kindesalter entwachsen, sprach sich sehr bestimmt zugunsten von Sicherheitsgurten aus. An diese Eltern, so äußerte er, sei er nun einmal gewöhnt, auf andere wolle er nicht mehr umsatteln. — Ich war zunächst etwas besorgt, ob man mit diesen bequemen und keineswegs umständlich zu befestigenden Gurten nicht irgendwie in Gottes unerforschlichen Ratschluß eingriffe, aber Michael beruhigte mich. Sie seien kein Kraut gegen den Tod, wohl aber gegen die unangenehmen und kostspieligen kosmetischen Operationen. (Wir hatten an einer Freundin gesehen, was ein bißchen Windschutzscheibenglas anrichten kann.)
    Eben hat Michael aus der kleinen Kreisstadt angerufen. Auf den neuen Wagen paßt wieder nichts von dem Zubehör, das beim vorigen gepaßt hat: die Winterreifen nicht, das Radio nicht, die eingebaute Uhr nicht, und natürlich auch nicht die Sicherheitsgurte, weil sie anders angebracht werden müssen. Ich würde ja nur zu gern in einem alttestamentarischen Fluch gegen die Zubehörindustrie ausbrechen, diese Bande, die sich den Spieltrieb der Männer zunutze macht. — Doch ich las gestern, daß wir Frauen durch unsere Variationsbesessenheit die Preise für z. B. Kochtöpfe und Schuhe hinauftreiben, weil wir bei jedem Kauf die unzähligen »mitgeschleppten« Modelle finanzieren. Auch unser Spieltrieb ist nicht von der Hand zu weisen.
    In einer Viertelstunde wird Michael mit dem »Neuen« vor der Garage vorfahren, und wir werden beide so tun, als sei alles wie immer. Einen Augenblick lang denke ich an den Morgen, an dem wir damals den noch kleinen Dicki klopfenden Herzens in den Garten führten und er beim Anblick des Blechfossils Hochwürden fragte: »Wem gehört der schöne Wagen?« und wir mit belegter Stimme erwiderten: »Uns!« Damals begann eine neue Ara. Diesmal werden Dicki, wenn er aus der Schule kommt, und ich uns zu der Frage aufraffen: »Wie
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